Coitus interruptus

Er war da. Der grosse Tag. Endlich sollte das langersehnte Treffen stattfinden. Und wie immer vor einem wirklich wichtigen Termin dauert die Visite im Badezimmer etwas länger. Der prüfende Blick in den Spiegel ist eine Spur prüfender. Die Wimpern erhalten die doppelte Ladung Tusche. Damit im richtigen Augenblick der richtige Augenzwinker erfolgreich zum Abschluss führt. Natürlich will man nicht nur durch sein Äusseres beeindrucken. Aber es ist part of the game. Fein zurechtgemacht und mit einem dezenten Hauch Parfum bestäubt aus dem Haus. Ab ins Auto und auf die Bahn. Die Fahrt ist herrlich. Die Landschaft zeigt sich von ihrer hübschesten Seite. Malerisch. Sanftes Sonnenlicht überzieht den Flecken Schweiz mit einem wunderschönen Schimmer. Spiegelt sich im See, wie tausend funkelnde Diamanten. Wenn das mal kein vielversprechender Start in den Tag ist. Angekommen. Viel zu früh. Das gibt Gelegenheit, noch etwas durch das schöne Städtchen zu schlendern. Die morgenfrische Luft einatmen. Jede Zelle des Körpers jauchzt ob der erquickenden Energiezufuhr. Herrlich! Der Countdown läuft. Brust raus, Bauch rein. Zähne zeigen. Klingeln. Der Weg zum Ziel führt durch ein nostalgisches Treppenhaus. Geschmückt mit unzähligen Bildern. Gemalt von einem Sprössling der Sippe. Ich werde bereits erwartet. Das Empfangskomitee ist imposant. Drei an der Zahl. Drei gegen einen? Werde in einen Raum geführt und darf mich setzen. Auf die Idee, mir den Mantel abzunehmen kommt niemand. Bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn nachlässig über die Stuhllehne zu hängen. Und schon geht’s los. Eine Abhandlung des Noch-Stelleninhabers über die Arbeit. Ergänzungen vom Grand Segnieur persönlich. Wie wichtig die Funktion sei. Wie angesehen der Ruf, wie hervorragend die Kontakte. Jede seiner Aussagen schreit nach: Ich bin wichtig! Ich bin wer! Und wer bei mir rein will, soll gefälligst auf die Knie fallen. Ich rutsche auf meinem Stühlchen hin und her. Blicke von einem zum nächsten und frage mich je länger je mehr, was ich denn hier mache. Der Redner hat geschlossen. Noch Fragen? Ja, dies und das. Wird mir in knappen Worten beantwortet. Und sonst? Gut, das wars dann. Ich sei natürlich nicht die Einzige. Und ich soll mich melden, falls ich nicht mehr interessiert sei. Aber sie würden sich noch vor Weihnachten entscheiden. Antritt Mitte März, spätestens. Gut, vielen Dank. Auf Wiedersehen. Und schon werde ich hinauskatapultiert. Stehe auf der Strasse und bin verwirrt. Das war wie ein schlechtes Quickie. Weder prickelnd noch inspirierend. Sondern eher etwas, das man angezettelt hat und mit Anstand und Würde hinter sich zu bringen versucht. Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack. Und ein blödes Grinsen über sich selbst. Wieder mal zu romantisch unterwegs? Mit dem Glauben an Liebe auf den ersten Blick? So muss sich ein Coitus interruptus anfühlen. Ein Anfang mit einem sehr abrupten Ende. Mit dem feinen Unterschied, dass diese Bettgeschichte im Berufsalltag und vollständig bekleidet stattfand.