Darf ich dir das Tschüss anbieten?


Menschen, die nur nehmen und nie geben.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Schlechte Gewohnheiten, die an dir kleben.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Personen, für die du lediglich Zeitvertrieb bist.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Dinge mit «ich muss» auf deiner Bucketlist.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Tage gefüllt mit schwarzen Gedanken.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Dein inneres Motzen und mit dir Zanken.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Den Kampf ums letzte Kilo auf der Waage.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Sinnlose Gespräche über die Wetterlage.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Alles, was dich irgendwie zu Boden zieht.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Dein Spiegelbild, das dich missbilligend ansieht.
Darf ich dir das Tschüss anbieten?
Du darfst. Denn es ist dein Leben.
Hau rein, mach dich schmutzig, verursache Herzbeben.
Sei mal laut oder leise, wild oder zahm.
Lebe einfach drauflos, ganz ohne Scham.
Falls die dein Tschüss nicht versteht,
tritt ihr in den Arsch. Bis sie freiwillig geht.

Ohne Worte

Bist du schon mal Achterbahn gefahren? Ja? Du sitzt in diesem kleinen Wägelchen. Festgeschnallt. An einem kleinen, blöden Sicherheitsbügel, natürlich TÜV geprüft, hängt dein Leben. Das Gefährt ruckelt ganz langsam die Schiene hoch. Der Wind säuselt um dein Gesicht und flüstert Fieses in deine Ohren. Meist höre ich dann noch irgendwo ein verdächtiges Geräusch. Mein Puls jagt in die Höhe. Rundherum – bodenloses Nichts. Ich klammere mich an den Bügel. Und schicke Stossgebete in die Wolken. Viele angespannte Gesichter, auch freudige erregte. Angekommen auf dem höchsten Punkt (nicht zu verwechseln mit dem Höhepunkt). Der Atem stockt und … dann donnert dieses kleine Scheissding in die Tiefe. Die Magensäfte bewegen sich gegengleich in die Höhe und die Gesichtszüge entgleiten. Und mit ihnen jegliche menschliche Zurückhaltung. Ein G … folgt aufs nächste: Geschrei, Gekreisch, Gejohle, Gequietsche. Als gäbe es kein Morgen und den Preis für die Dezibel reichste Darbietung zu gewinnen. Eigentlich bin ich nicht so scharf auf Achterbahnen. Mein Leben beschert mir so schon genug Höhen und Tiefen. Und mit Adrenalin werde ich auch reichlich versorgt. Dass die Gesichtszüge der Schwerkraft folgen, bringen die Jahre so mit sich. Also sehe ich nicht ganz ein, warum ich dafür dann Geld ausgeben soll. Trotzdem – hin und wieder lass ich mich breitschlagen. Und überwinde mich. Um dann, voller Stolz, zerzauster Frisur und sauren Magensäften aus der Klapperkiste zu steigen: Yes! I did it! Denn, wenn ich etwas nicht mag, dann mein Leben in die Hände von technisch gesteuerten Geräten ohne Bodenkonktakt geben. Das fängt bei der Achterbahn an und hört beim Flugzeug auf. Diese Dinge sind mir suspekt. Und trotzdem setze ich mich ihnen hin und wieder aus. Mehr oder weniger freiwillig. Spannend an solchen Aktionen ist jedoch, dass ich dann einen ungeheuren Lebenshunger, eine wahnsinnige Dankbarkeit für all das was ich bin und habe und tausend gute Vorsätze entwickle. Binnen Sekunden kann ich im Kopf ein ganzes Buch schreiben. Die Gedanken rattern. Für alles andere bleibt keine Energie. Einfach, weil ich so mit Angst haben beschäftigt bin, dass ich vollkommen ruhig und sprachlos werde. Schon beinahe apathisch – für mein Wesen also ziemlich ungewöhnlich. Wärs möglich, dass man mich deswegen hin und wieder mit auf die Achterbahn oder in ein Flugzeug nimmt?

Behindert?

Es ist einer dieser bezaubernden Herbsttage. Die Sonne strahlt vom Himmel und taucht alles in warmes, goldenes Licht. Weichgezeichnet und bunt fallen die Blätter von den Bäumen. Die Luft, klar und frisch, wie sie es nur in den kalten Monaten sein kann. Ein tiefer Atemzug und ich habe das Gefühl, tausend kleine Eiskristalle tanzen in meinen Lungenflügeln. Erquickend und belebend. Das Laub raschelt unter den Füssen. Die Blätter tanzen vergnügt und ich meine zu vernehmen, wie sie kichernd wieder zu Boden kommen. In solchen Momenten fühle ich mich lebendig. Spüre, wie die Muskeln mit jedem Schritt wärmer werden. Gemütlich trabe ich um den hübschen kleinen See. In Begleitung vieler Gleichgesinnter. Menschen, die sich mehr oder weniger leichtfüssig dem Ufer entlang bewegen. Manche mit einem Lächeln im Gesicht. Andere verbissen, den Blick auf den Boden gerichtet. Ob sie hier einfach ihr Pflichtprogramm abspulen und gar nicht mitbekommen, welcher Zauber in der Luft liegt? Unvorstellbar, für mich zumindest. Meine Sinne sind hellwach und saugen alles auf, was sie sehen, riechen, spüren. Ich lebe!

Die grosse Wiese am See ist Tummelplatz für Kinder, öffentliches Klo für Hunde und Fussballfeld von ein paar Jugendlichen. Für mich ist sie das Outdoorfitnesscenter. Dehnen, recken, strecken. Völlig in Gedanken versunken spüre ich, wie jemand hinter mir steht. Ich drehe mich um und schaue in ein lachendes Gesicht. Ein paar wenige, schiefe Zähne blitzen hervor. Die Äuglein sind kleine Schlitze und haben eine eigenartige Form, die nicht nur vom Lachen kommt. Tiefe Furchen überziehen sein Antlitz. Es sind Zeichen von Emotionen, Freude. Ein Mensch, der seine Gefühle unverblümt zeigt. Sein Haar trägt er raspelkurz geschnitten und in der Hand hält er eine ziemlich abgetragene Wollmütze. Die Hose mindestens zwei Nummern zu gross und die Jacke – bestimmt nicht le dernier Crie. Aber, es scheint ihn nicht zu kümmern. „Hast du Schmerzen?“ fragt er mich. „Nein, wieso meinst du?“. „Naja, weil du dich so eigenartig verbiegst.“ Ich schmunzle leise in mich hinein. Und langsam klingelt es in meinem Hirn.Dieser Mann hat ein Handicap. Ein Mensch mit Downsyndrom. „Ich war joggen und jetzt bin ich am Dehnen.“ Jetzt grinst er noch breiter und meint, dass das wohl gesund sei. Seine Krankenschwester sage ihm auch immer, dass er das machen solle. Ob er denn mitmachen dürfe? „Aber klar doch.“ So stehen wir auf der Wiese und verrenken uns mehr oder weniger synchron. Muss ein seltsames Bild abgeben. Ich in meiner hightech Laufkleidung. Er in seinem abgewetzten Alltagsgewand. Etwas ungelenk. Aber unheimlich liebenswert. Und er plappert munter drauflos. Erzählt mir dies und das. So, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Ein Gespräch unter Freunden, sozusagen. Irgendwann verabschiede ich mich. Er nimmt meine Hand und drückt mir, etwas ungelenk, einen Schmatzer auf den Handrücken. Ich bin einigermassen erstaunt und perplex. Und doch entlockt mir seine Handlung ein Lachen. Was ihn wiederum zum Grinsen und tanzen bringt. Er läuft weg, dreht sich nochmals um und winkt mir zu. So wie man jemandem zuwinkt, den man an einem Schiffssteg verabschiedet, bevor das Schiff ablegt.

Ich setz mich noch für einen kurzen Augenblick ins nahegelegene Restaurant und geniesse meinen Espresso. Die Begegnung hallt nach. Ich lasse jede Sekunde Revue passieren. Wie unverblümt und offen dieser Mann doch war. Wie herzlich und unvoreingenommen er durchs Leben und auf Andere zugeht. Wenn ich mir überlege, wie schwer wir uns manchmal damit tun, unser Gefühle zu zeigen. Wie sehr wir immer darauf bedacht sind, das Richtige zu sagen und zu tun. Wie oft wir uns damit selber im Weg stehen und Dinge komplizierter machen als sie eigentlich sind – dann frage ich mich doch wer denn jetzt wohl behindert ist. Er oder ich?

Parkbank

„Sepia“. Immer wieder. Das Wort, die fünf Buchstaben. Sie geistern durch ihren Kopf, seit sie ihnen zum ersten Mal begegnet ist. Es war während der Arbeit. Wieder mal plagte eine kreative Leere ihren sonst so wachen Geist. Wie so oft scrollt sie sich dann durch die unsinnigsten Suchbegriffe. Studiert Anmeldeformulare, für Ausbildungen, die sie wohl nie machen wird. Und stolpert dann, meist am Schluss der Exkursion, noch in irgendwelche Textwerkstätten. So auch dieses Mal. Ein Schreibwettbewerb … Das wäre doch eigentlich zu bewerkstelligen. Denkt sie. Thema? Kein Thema. Ein Wort. „Sepia“. Wie zum Teufel kommt jemand auf die Idee dazu einen Schreibwettbewerb zu veranstalten. Müssen ganz findige und kreative Kerlchen gewesen sein.

In Gedanken versunken stolpert sie durch den Park. Es ist noch früh. Der Sonntag grad so am Erwachen. Continue reading