Wann kommt die Menschenverantwortungsinitiative?

Ich wage einen Blick in die Kristallkugel: Die Konzernverantwortungsinitiative – welch ein Wort! – haben wir durch. Angenommen und ein Exempel statuiert. Bravo, liebe Schweiz! Ich applaudiere und verneige mich. Jetzt haben wir es den Konzernen gezeigt. Sollen die mal zusehen, dass alles seinen rechten Lauf nimmt in Zukunft! Continue reading

Mit dem Schnellzug mitten ins Herz

Ein schöner Tag. Am Abend wird nichts mehr sein, wie es am Morgen war. So ist es immer. Mit jedem Tag. Auch wenn man das manchmal nicht mag. Wir sind abends ein paar Stunden älter, ein paar Takte weiser… vielleicht. Ein paar Zellen veränderter… in jedem Fall. Und an diesem speziellen Tag… um eine wundervolle Begegnung reicher.

Bahnhof Luzern, Samstagmorgen. Einer dieser Samstage, an denen die ganze Schweiz ins Tessin reisen will. Klug vorgedacht haben wir Plätze für unsere Bikes und uns selbst reserviert. Die Bikes logieren in Wagen sieben. Wir in Wagen zwei. Dazwischen liegt das SBB Bistro. Es bietet sich an, auf dem Weg zum Sitzplatz einen Kaffee zu ergattern. Der Zug ruckelt bereits auf den Geleisen, als wir endlich bei unseren reservierten Thronen (Nein, ich meine nicht Drohnen – die Mehrzahl von Thron lautet wirklich so.) ankommen. Und da sitzt sie: eisgraues Haar, Haut wie feines Pergament, bergseeblaue Augen und ein Strahlen, das dem eines Diamanten gleicht. «Oh, ich habe schon gedacht, ich hätte die ganze Vierercombo für mich alleine.» In ihrer Stimme schwingt ein Schmunzeln mit. In ihren Augen blitzt und glitzert es. Sie belegt meinen Platz. «Ist es für Sie in Ordnung, wenn ich hier sitzen bleibe?». Voll ok. Mein Magen ist unempfindlich und ich kann die Fahrt genauso gut im Rückwärtsgang geniessen.

Ein Genuss wird es! Die Dame sprudelt über vor Energie und Lebensfreude. Sie ist eine Schatztruhe voller Geschichten. Geschichten aus einem langen Leben. Wie ich auf das lange Leben schliesse? Nun, sie berichtet von den Jahren, als sie in Grindelwald in einem Sportgeschäft gearbeitet hat. Das war 1958. Kurz überschlage ich im Kopf, dass sie dann ja so um die Zwanzig gewesen sein muss. Sie erlebte in diesem Winter, wie einer der ersten Skilifte gebaut wurde. «Wissen Sie, so einer mit einer Stange und einem kleinen Teller unten. Das Frauenträumli, haben wir es genannt.» Sie hält sich die Hand vor den Mund und zwischen ihren Fingern perlen kleine Lachbläschen hervor. So viel damenhaften Schalk habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Sie ist erfüllt von liebevollen Erinnerungen an vergangene Zeiten.

Heute führt sie ihre Reise ins Tessin, ans Kastanienfest. Mit ihrem Ehemann lebte sie viele Jahre in der Nähe von Rivera. Er starb und sie kehrte vor fünf Jahren nach Luzern zurück. «Weil es im Tessin alleine nicht mehr gegangen wäre …», stellt sie nüchtern fest. Jetzt erobert sie die Welt von Luzern aus. Mal mit ihren Freundinnen, mal alleine. «Ich habe nicht mehr viele Freunde und Bekannte. Die meisten sind schon gestorben. Oder dann nicht mehr so mobil wie ich. Kinder habe ich keine», auch das erzählt sie ohne Gram. Sondern in einem Ton, der ausdrückt: «Ich liebe mein Leben, so wie es ist». Das strahlt aus jeder einzelnen ihrer Körperzellen. Diese Dame ist mit sich und ihrem Leben im Reinen. «Ach ja. Heute Abend muss ich zeitig zurück sein. Ich will noch ins KKL. Tango!» Tango – das passt zu ihrem Temperament und ihrer Lebensfreude. Sie plaudert und giggelt in einem Fort. «Das Leben macht doch viel mehr Spass mit etwas Humor», meint sie, fast ein bisschen entschuldigend. Recht hat sie. Im richtigen Moment ein Spässchen, in holprigen Situationen über sich selbst lachen können und den Tagen dadurch etwas Leichtigkeit geben. So sollte es sein. Sie beherrscht diese Disziplin, ohne Frage. Die Zugfahrt vergeht viel zu schnell. Wir müssen umsteigen, raffen unsere sieben Sachen zusammen. Ein herzliches Auf Wiedersehen, begleitet von ihrem unwiderstehlichen Lachen. Am Perron bleiben wir stehen, winken uns die Hände aus dem Handgelenk. Blicken dem Zug fast etwas wehmütig hinterher. So, als ob wir eben einer lieben Freundin Adieu gesagt hätten.

Es gibt sie wirklich, diese Menschen, die sich mit dem Tempo eines Schnellzuges in dein Herz stehlen. Und da bleiben. Egal, ob du ihnen jemals wieder begegnest. So wie Irma. Wie diese Dame ihr Leben lebt, mit welcher Freude und kindlicher Leichtigkeit, mit welchem Schalk und Charme sie unterwegs ist, das hat mich beeindruckt und berührt. Ich weiss, es ist eine Momentaufnahme. Irma hat auch ihre grauen Tage. Sie beschönigt nichts. Aber sie ist eine, die lieber ins Licht blickt. Und mit ihrem Leuchten unsere Welt ein ganz klein wenig strahlender macht.

Eine Ode an den Montag

Aside

Guten Morgen, du lieber Montag.

Willkommen im Tag, den niemand wirklich mag.
Schau, da oben scheint die Sonne schon.
Sie kümmert sich nicht um den vermeintlichen Dämon.
Sie scheint, als ob sie weiss – das wird schon.
Ihre Strahlen umarmen dich durch das Fenster.
Auch an einem Montag, nehmen sie dich in den Arm.
Egal wie oft du dich noch im Bett drehst, die Laken nachtwarm.
Also hopp, stell dich jetzt, den Montagsgespenster.

Das Vogelgezwitscher dringt lässig zum Fenster rein.
Will dich ermuntern, lass dich auf den wundervollen Tag ein.
Kriech aus den Federn, auch wenn es zäch für dich ist.
Lass die Zeitung heute links liegen. Da drin steht eh nur Mist.
Es ist nicht von Bedeutung, ob du sie durchgeblättert hast.
Deinen Sorgenrucksack stellst du in die Ecke. Raus ohne Last.
Schalk und Leichtigkeit trägst du heute Huckepack.
Das wird dein Tag, der geht voll ab!

Heute und immer bist du dein Lebenskomponist.
Du gehst dahin, wo deine beste Gelegenheit ist.
Packst alle Chancen am Schopf.
Bist der Maler deiner Leinwand, greifst in jeden Farbtopf.
Lass dich treiben mit Seifenblasen in den Taschen.
Du brauchst keinen Kompass, nur ein Lachen.
Dein Tempo ist der Rhythmus, zu dem du tanzt.
Warum so einfach? Weil du es kannst!

Du hast deinen Zug verpasst, das ist kein Problem.
Kommst du halt etwas später. Die Hauptsache ist,
du bist unterwegs. Im Lied deines Lebens bist du dein Komponist.
Heute gibt es für dich nichts zu versäumen.
Erlaube dir, einfach mal zu träumen.
Schau dem Leben und seinen Wundern zu.
Lass das Handy in der Tasche, Facebook und Instagram in Ruh.
Keine Likes, keine Bilder, keine Kommentare.
Nur die Welt, dein Leben und du.
Tauche ein in den Moment, den Zauber.
Lass dich treiben in deinem Sein.
In deinem Leben, bist du der hellste Schein.

Ausserhalb von Raum und Zeit bist du unterwegs.
Gehst komplett auf, in dem was du willst und tust.
Nicht in dem was du glaubst, dass du es musst.
In einen Bergbach aus guten Gedanken.
Streckst du nicht bloss die Zehen rein.
Nimm Anlauf, spring los und tauch komplett ein.
Die dunklen Gedanken saufen ab.
Finden auf dem Seegrund ihr ewiges Grab.
An die Oberfläche sprudelt deine Leichtigkeit.
Von ganz tief unten, jetzt ist ihre Zeit!

Du kehrst heim, aus einem Tag voller Abenteuer.
Reibst dir erstaunt die Augen, in dir brennt ein Feuer.
Schon vorbei, dieser eine Tag.
Den ich doch eigentlich so gar nicht mag?
Wer sagt denn, dass der Montag der Böse ist?
Anstatt ihn anzumurren, lach ihm zu, das ist der Zauber.
Das hast du gut gemacht, du Lebensheld.
Du malst aus jedem Tag ein Blumenfeld.
Du alleine wählst, wie deine Montagsgeschichte ist.
Die Sonne versinkt am Horizont, schickt dir ihr goldenes Abendlicht.

Heute ist nicht alle Tage …

Ein stinknormaler Morgen. Du stehst auf.
Bist noch etwas zerknittert, nicht so gut drauf.
Ein bisschen Morgenmief unter der Achselhöhle
Alles im Grünen, soweit. Wozu gibt’s Aromaöle?

Dann setzen sich deine Gedanken aufs Karussell.
Drehen ihre Runden. Ganz schnell.
Ganz nach dem Motto: Da bewegt sich zwar was,
bringt dich mit Sicherheit nicht weiter, macht keinen Spass.
Dein Hirn spielt Pingpong und du bist Zuschauer
in diesem leidigen Spiel, von manchmal langer Dauer.

Zu deinem Spiegelbild motzend «Ich bin heute nicht gut drauf.»
«Was ist los? Wo klemmts, brauchst du einen Einlauf?»
«Ach hör doch auf, mir ist nicht nach Plaudern.»
«Echt so schlimm?», meint dein zweites Ich mit Schaudern.

«Halt doch die Schnauze, das geht dich nichts an!»
«Raus mit der Sprache, du erstickst noch daran.»
«Da hat mich einer vorhin so doof angeglotzt.»
«Was guckst du so blöd, hab ich ihn angemotzt.»

«Fette Kuh», hat der bestimmt gedacht.
Kaum umgedreht, ins Fäustchen gelacht.
«Spinnst du, du bist doch nicht dick!
«Also manchmal hast du echt einen Tick.»

«Dann hab ich von ‘nem Kunden eine Mail bekommen.
Lass uns reden … ich bin noch immer benommen.
Mein Herz ist knieftief gesackt.
Bestimmt hab ich irgendwas verkackt.»

«Geht’s noch? Du verbockst doch nie was!»
«Vor zwei Jahren hab ich geliefert, da war ich kein As.
«Vor zwei Jahren? Und dazwischen, alles im Grünen?
Du suchst echt die Schneeflocke in den Sanddünen.»

«Und dann ist da noch dieser neue Kunde
bin sicher nicht gut genug und es gibt ‘ne Extrarunde.»
«Nicht gut genug? Und warum wählt er dich dann?»
«Bin bestimmt die Einzige, die grad kann.»

So sitzt du da. Dein Ego fährt Schlitten mit dir.
Dein Verstand dreht bald durch, ist beinahe irr.
Das Selbstvertrauen sitzt in der Ecke, gekrümmt vor Scham.
Zerschrammt, zerzaust, wie jemand, der aus einer Schlacht kam.

Und dann klingelt das verdammte Telefon.
Am Ende der Leitung genau die Person,
die angedroht hat, mit dir reden zu wollen.
Dein Magen antwortet mit lautem Grollen.

Dein Mund spricht: «Ach, schön dich zu hören.»
«Hoffe, du hast Zeit. Will dich nicht lange stören.
Wir haben da was, ein grosses Projekt.
Beim letzten Mal, da lief das einfach perfekt.
Können wir das wieder durchziehen, etwa im gleichen Stil?»
Du gibst ihm dein Wort: «Na klar, das ist mein Ziel.»

Dann legst auf. Verfällst in hysterisches Lachen.
Bist auf einmal hundemüde, vom vielen Sorgen machen.
Wie ein Ballon ohne Luft hängst du im Stuhl
Schwörst dir: «Nächstes Mal bleibe ich kuhl.
Nie mehr torpediere ich mich selbst so.
In Zukunft bin ich einfach glücklich und froh.

Das kleine Gewohnheitstierchen, die Miene verdüstert
und hämisch grinsend dir ins Ohr flüstert:
«Heute ist nicht alle Tage.
Ich komm’ wieder, keine Frage.»

Schublade

Mit zwei Jahren wollte sie die Welt erobern. Auf kurzen Beinchen, mit ungelenken Schritten begann sie ihre Umgebung zu erkunden, riss Schubladen auf und fand darin ein buntes Universum, das ihres sein sollte. Bis man ihr auf die Finger haute und sie sich nicht mehr getraute. Mit Vier sprang sie voller Freude und Begeisterung in Pfützen, liebte das schmatzende Geräusch in ihren Gummistiefeln, balancierte auf dem Gehsteig, turnte auf der Schaukel herum, bis man ihr sagte, sie solle anständig gehen und sich benehmen. Mit Sechs begann sie begeistert zu zeichnen und zu malen. Stundenlang und konzentriert, die Zungenspitze blitzte zwischen den rosigen Lippen hervor. Sie bemerkte es nicht, in ihrem Eifer. Bis man ihr sagte, sie könne nicht zeichnen, ein Elefant nicht drei Beine hätte, die Sonne kein Gesicht habe und die Blätter eines Baumes anders aussehen müssten. Mit Sieben wollte sie Sängerin werden, stellte sich vor den Spiegel und performte jeden Song, den sie kannte. Bis man ihr sagte, sie singe falsch und solle bitte mit diesem grässlichen Lärm aufhören. Mit Neun schaute sie sich jeden Abend die Serie von Anna, der Balletttänzerin. Und sie war besessen von der Idee, Tänzerin zu werden. Sie tanzte und tanzte, bis man ihr im Ballettunterricht sagte, sie sei zu klein, zu dick und zu unbeweglich, um es je zu etwas zu bringen. Mit Elf liebte sie Mathematik über alles und war sich sicher, selbst einmal etwas mit Zahlen zu machen. Sie sah sich an einer Universität dozieren. Bis man ihr sagte, sie sei ein Mädchen und hätte für solche Berufe keine Begabung. Mit Dreizehn spielte sie leidenschaftlich gerne Fussball. Sie fegte durch die Halle und nahm es mit jedem Jungen auf. Bis es eines Tages im Turnunterricht hiess: Du bist zu dick, wir wollen dich nicht in unserer Mannschaft haben. Mit Fünfzehn hatte sie nur noch einen Wunsch: Sie wollte beliebt sein. Sie wollte mehr als die zwei Freundinnen, die sie hatte. Sie passte sich so sehr an, bis sie selbst vergessen hatte, wer sie war. Und dann, viele, viele Jahre später war sie an einem Punkt, da hatte sie keine Träume mehr. Sie war konform und angepasst. Genormt, für die Gesellschaft tauglich. Und fühlt sich unendlich traurig und leer. Blickt auf ihr Leben und fragt sich: Wars das? Sie stolpert zufällig über alte Tagebücher. Liest von all den schönen Träumen, die sie begraben hat. Weil alle anderen ihr sagten, dass sie das nicht könne. Und auf einmal regt sich Widerstand in ihr. Sie zittert vor Aufregung, ihr Herz rast und sie ahnt: Es ist noch da, das kleine Mädchen, die wilde Göre, das freche Kind. Sie steht auf, und stösst sich den Kopf. Hat vergessen, dass sie noch in der Schublade sitzt, in die man sie gesteckt hat. Mit aller Kraft stemmt sie sich gegen die Rückwand, schafft es, die Lade einen Spalt zu öffnen. Licht dringt durch die Ritze, langsam, ganz langsam pulsiert das Leben wieder durch ihre Adern. Die Träume keimen wie kleine Pflanzen, behutsam. Je mehr die Träume wachsen, desto grösser wird die Luke der Schublade. Eines Tages steckt sie vorsichtig den Kopf durch den Spalt, realisiert, dass sie hinausschlüpfen kann. Lässt die Normen hinter sich, nimmt einen beherzten Sprung, hinein in ihr neues Leben. In ein Leben ohne Schubladen und voller: Du kannst das!

Nicht dein Tag?

Dieser Moment, wenn du frühmorgens barfuss in den Garten tapst und spürst, dass da etwas unter deiner Fusssohle klebt, das sich nicht nach Gras anfühlt und im nächsten Augenblick weisst: Du bist auf eine Nacktschnecke getreten.

Dieser Moment, in dem du schwungvoll die Kaffeetasse anhebst, deinen Mund um einen Millimeter verfehlst und die braune Flüssigkeit sich über dein weisses T-Shirt verteilt.

Dieser Moment, wenn du dich unter die Dusche stellst, den Wasserhahn aufdrehst und vergessen hast, dass du gestern Abend die Wanne brühend heiss ausgespült hast.

Dieser Moment, in dem du dich voller Elan in deine Lieblingshose stürzen willst und aus dem Stürzen ein reinzwängen wird.

Dieser Moment, wenn du das Mascara-Bürstchen ansetzt um Great Lashes zu zaubern und du die Borsten stattdessen mitten im Auge platzierst.

Dieser Moment, wenn du aus dem Haus gehst und feststellst, dass du alles verschwommen siehst, obwohl du die Kontaktlinsen eingesetzt hast. Dem Grund Sherlock Home-mässig auf die Schliche kommen willst und dann feststellst: Da sind zwei Linsen in einem Auge.

Dieser Moment, wenn du mit deinem Fahrrad zum Bahnhof fliegst, jedem Profi-Zeitfahrer seinen Titel streitig machen würdest, um dann festzustellen, dass du nur noch die Rücklichter des Zuges siehst.

Dieser Moment, in dem du durch die Strassen der Stadt läufst, den Himmel bestaunst und just in dieser Sekunde in Hundekacke trittst.

Dieser Moment, wenn du ins Büro kommst, dich zur Kaffeemaschine schleppst und realisierst: Der Kaffee ist alle.

Dieser Moment, wenn du den Rechner hochfährst und dein Passwort nicht mehr eingeben kannst, weil der Buchstabe «i» deiner Tastatur defekt ist.

Dieser Moment ist der Moment, in dem du weisst: Der Regisseur des heutigen Tages war besoffen und das Leben spielt nicht dein Lieblingslied.

ABER, du tanzt trotzdem. Und auf einmal gefällt dir die Melodie. Weil du feststellst: Dieser Tag war ein weiterer Tag in deinem herrlich unperfekten perfekten Leben.

Das Leben kleben

Hin und wieder muss man das. Das Leben kleben. Dann, wenn es ein paar Risse bekommen hat. Oder Dellen. Oft hilft Duck Tape. Damit lässt sich fast alles flicken. Aber nicht immer. Wenn «nicht immer» der Fall ist, dann braucht es gute Freunde. Eine liebe Umarmung oder einen Moment, in dem die Sonne den Horizont küsst und den Himmel zum Erröten bringt. Dann ist das Leben ganz schnell wieder bepanthengut. Man sieht den Riss noch ein kleines Bisschen. Aber weh tut er nicht mehr.

Es gibt aber auch die Momente, in denen der Riss zu einem Graben wird. Momente, in denen man gelebt wird, anstatt selbst zu leben. Man verwirft verzweifelt die Hände und stampft trotzig auf. Nein, das ändert nichts an der Tatsache. Hilft aber kurzfristig gegen das Ohnmachtsgefühl. Ohnmächtig habe ich mich gefühlt, während der Monate, in denen ich eine neue Wohnung gesucht habe. Neue Wohnung? Ja. Ich bin vor einem Jahr umgezogen. Stimmt. Was mir beim Einzug nicht bewusst war: Im Sommer verwandelt sich mein Daheim in ein Tropenhaus. Warm und feucht. Würde ich eine Karriere als Pilzzüchterin in Betracht ziehen, à la bonheur. Davon bin ich aber weit entfernt. Also habe ich den ganzen letzten Sommer in Begleitung von Fred verbracht. Fred, so heisst mein Luftentfeuchter. Er hat einen Namen bekommen, weil wir in den Monaten eine innige Beziehung entwickelt haben. Täglich zweimal die vollen Windeln gewechselt und dafür gesorgt, dass er zur rechten Zeit mit seiner Arbeit beginnt. Mein Gang zu Fred war das erste, was ich tat, wenn ich heimkam. Da ich mir durchwegs eine prickelndere Beziehung vorstellen kann, als die zu einem Luftentfeuchter, suchte ich kurz nach meinem Einzug wieder eine neue Wohnung. Meine Ansprüche? Hell, mindestens zwei Zimmer, Badewanne, Balkon, bezahlbar. Das wars dann auch schon. Die Suche hat gedauert. Ok, ich war auch nicht immer gleich intensiv unterwegs.

Aber, irgendwann hatte ich echt das Gefühl, auf dem Pfad der Unmöglichkeit zu wandern. Wohnungssuche in Luzern und Umgebung – das ist echt ein Ultralauf. Nix mit Kurzstrecke und mal eben vorbeigehen. Ne du, langer Atem und gute Argumente. Warum gute Argumente? «Ach, Sie sind selbständig? Haben Sie jemanden, der für Sie bürgt? Ist es denn wenigstens eine GmbH? Ja, dann bräuchten wir aber Ihre Bankauszüge und einen Vermögensnachweis. Und ein Partner, ist da jemand, der die Wohnungsmiete mitfinanziert?» Das sind noch die harmlosen Fragen und Absagen. Ganz schön fand ich diejenige mit «Sie sind selbständig und haben ein Auto.» Herrgott, als ob es ein Verbrechen ist, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und gerne mobil zu sein. Manchmal hätt ich einfach drauflosheulen können. Muss ich mich jetzt wirklich anstellen lassen, damit ich als Mieterin solvent bin? In welchem Jahrhundert leben wir denn? Das hab ich mich oft gefragt. Die Wohnungssuche hat einen Krater in mein Lebensbild gerissen. Ehrlich! Irgendwann tauchte dann auch der Gedanke auf: Soll ich einfach dableiben, wo ich bin? Und jeden Sommer mit Fred verbringen? Viele haben einen Urlaubsflirt. Meiner wäre dann einfach immer der gleiche. Bloss, wie fühlt sich das an? In etwa so, wie wenn man mit jemandem in einer Beziehung ist und eigentlich weiss, dass es nicht passt. Dann kommen aber wieder gute Monate – die hatten meine Wohnung und ich im Winter, weil da geheizt wird – und man glaubt, dass man es hinkriegt. Auf die Guten folgen wieder weniger lustige. Da bekommt man wieder glasklar vorgeführt, warum das eben doch nicht passt. Also bin ich drangeblieben, an der Suche. Und es hat sich gelohnt. Den Urlaubsflirt mit Fred darf ich den Sommer über noch geniessen. Aber auf den Herbst, da bekomme ich eine neue Liebe. Und die hält was sie verspricht. Ganz ohne Ducktape-kleben.

Ist mein Leben eine Ferieninsel?

Überfüllte Strassen, ein Stehplatz im Zug. Menschen, die hektisch durch die Gaseen rennen. Jeder den Blick auf sein Smartphone gesenkt. Ohne Augen und Herz geöffnet zu haben, für die wunderbare Schönheit, von der sie umgeben sind. Ist das die Art, wie ein Arbeitstag beginnen sollte? Ich meine «Nein!» Continue reading