Es ist nicht immer, wie es scheint.

Madeleine und Vincent nehmen sich ein paar Tage. Freie Tage. Mit Ausspannen vom Anspannen. Ganz viel Loslassen und alles Sein lassen. Soviel Zeit für nichts. Das gönnen sie sich hin und wieder. Eigentlich jährlich. Für drei, vier Tage. Da öffnen sie ihr Kässlein, in das sie tagein, tagaus das Münz aus dem Portemonnaie reinschmeissen und sammeln. Es kommt was zusammen in all den Tagen übers Jahr.

Jetzt sind sie also wieder weg. Im Kurztripurlaub auf Lanzarote. Vier Tage nichts mehr als Meer. Aber auch nicht weniger. Drei Tage Liegestuhl und Sonnenbad. So wie sie es mögen. Beide die Nasen in Bücher gesteckt. Abends beginnt die Grosswildjagd. Dafür muss man schliesslich vorbereitet sein. Der Speisesaal öffnet um sieben seine Türen. Die ersten ergattern die leckersten Häppchen. Wer zu spät kommt, geht leer aus. Könnte man meinen. Madeleine und Vincent jagen an vorderster Front. Hetzen an ihren Tisch. Starren auf ihre Teller und verschlingen ihre Nahrung, als ob es kein Morgen gäbe.

«Siehst du die Frau da drüben am Tisch. Die da so alleine sitzt?»
Er hebt den Kopf nur ungern von seinem Antipasti-Teller.
«Wo?»
«Da drüben, die da am Fenster.»
«Ach ja, jetzt sehe ich sie.»
«Ist das nicht traurig?», ihre Stimme verrät grosses Mitleid.
«Was denn?»
«Naja, es gibt doch nichts schlimmeres, als abends alleine im Restaurant zu sitzen. Sie sieht doch unheimlich traurig aus. Das ist mir gestern schon aufgefallen.»
«Ja, du hast recht. Das ist wirklich übel. Aber warum fährt sie denn auch alleine in Urlaub? Das macht man doch nicht. Gut, vielleicht ist sie ja Single. Obwohl, so übel sieht sie gar nicht aus…»
«Vermutlich ist sie so kompliziert, dass sie keinen abbekommen hat. Oder keiner bei ihr bleiben wollte», fällt sie ihm ins Wort.
Der Zufall will es, dass man sich am nächsten Tag am Strand begegnet. Liegestuhl an Liegestuhl, quasi.
«Entschuldigen Sie…», beginnt Madeleine schüchtern.
«Ja?», kommt es überrascht vom Nachbarsstuhl.
«Ich will ja nicht unverschämt sein. Aber, darf ich Sie etwas fragen …?»
«Natürlich. Jetzt machen Sie mich neugierig», entgegnet die Unbekannte.
«Ist das nicht schrecklich traurig für Sie. Abends so einsam am Tisch zu sitzen und zu essen?»
«Oh, jetzt kommen Sie mir zuvor. Ich habe Sie und Ihren Mann die letzten zwei Abende beobachtet. Und genau dasselbe wollte ich Sie auch fragen. Wollen sich Sie nicht heute Abend zu mir setzen?»