Augen auf und durch!

Geschenke fallen einem manchmal zu – genau dann, wenn man sie am wenigsten erwartet. Oder vielleicht auch dann, wenn man es schafft, wieder mal dem realen Leben zu begegnen. Weg vom Schreibtisch, das Handy in der Tasche verstaut, offline für ein paar Stunden. Um wieder mal ganz bei sich selber zu sein. Was noch vor ein paar Jahren völlig normal war, «Ich bin nicht erreichbar, weil ich unterwegs bin», wird heute als Luxus angesehen und oft auch mit einem fragenden Gesichtsausdruck begleitet zur Kenntnis genommen. Dabei sind es gerade diese offline Stunden, die so viel Schönes in sich bergen.

Ich habe mir letzte Woche solche Tage gegönnt. Auszeit, Bergzeit. Die Lungen füllen mit frischer Luft. Die Seele versorgen mit Naturbildern. Und die Sinne schärfen für die Kleinigkeiten, die das Leben so unglaublich lebenswert machen. Mein Berg war nicht der höchste, spektakulärste, aufregendste. Aber, wie es scheint, für den Tag genau der richtige. Denn, ich wollte Abschied nehmen. Von einem Menschen, der mir vor Jahren begegnet ist, mich nachhaltig beeindruckt hat und vor ein paar Wochen seine letzte Reise antrat. Auf diesem Berg hat er einen wunderbaren Platz gefunden. Ich sitze vor seinem kleinen «Denkmal». Bilder ziehen vorbei. Und die Ruhe, die mich auf einmal in Beschlag nimmt, ist unglaublich schön. Dieses Vertrauen, dass am Ende eben doch alles einen Sinn hat … Wenn auch oft vieles unsinnig und nicht nachvollziehbar scheint. Warum mich dieses Gefühl ausgerechnet an diesem Platz überkommt – ich weiss es nicht.

Mitunter das Schönste, was solche Bergtage mit sich bringen, sind die Alpbeizen. Weil sie einfach ursprünglich sind. Keine überkandidelte Küche, keine gestylten Getränke, von überzuckerten Menschen ganz zu schweigen. Einfach ein Stück Wähen und ein Kafi Schnaps oder en Suure Moscht. Mein Weg führt mich an einer vorbei. Die Alp ist gut besucht. Ich ergattere mir einen Platz an einem langen Tisch. Ein weiterer Aspekt – man ist gezwungen, sich mit unbekannten Gesichtern an ein- und denselben Tisch zu setzen. Kurz darauf gesellt sich ein Paar zu «uns». Wir kommen sofort ins Gespräch. Und es ist keine dieser nichtssagenden Smalltalk-Runden. Wir stechen sofort in die Tiefe, philosophieren über dies und das. Über Stolpersteine, die das Leben mit sich bringt. Was man daraus lernen kann. Wo steht man, was ist das Ziel. Soll man sich materielle Ziele setzen? Oder ist es angemessen zu sagen, dass man keine materiellen Wünsche hat, seine Zielsetzung vielmehr im Zwischenmenschlichen anpflanzt, gar bei der eigenen Entwicklung? Wie lassen sich verschiedene Wertvorstellungen vereinen? Muss immer alles deckungsgleich sein? Oder ist es gar spannender, wenn unterschiedliche Vorstellungen existieren und man in einer Beziehung diese Aspekte vereinen kann – mit Neugier und Offenheit. Genau das, was ich mag. Natürlich braucht es hin und wieder auch diese lustigen, sinnlosen aber unglaublich unterhaltsamen Runden. Aber wirklich bereichernd sind eben doch die tiefen Momente, zumindest für mich.

Und dann erzählen sie mir ihre Liebesgeschichte. Sie waren ein Paar, vor langer Zeit. Er zarte zwanzig, sie achtundzwanzig. Unglaublich verliebt, unglaublich glücklich. Aber beide auch unglaublich ehrgeizig und auf ihr Eigenes fixiert. «Irgendwann haben wir uns aus den Augen verloren, obwohl wir zusammen waren. Einfach, weil jeder so mit sich und seiner Karriere beschäftigt war … Dann haben wir uns getrennt.»

Beide gingen ihren eigenen Weg. Haben geheiratet, Familien gegründet, ein Haus gebaut. Jahre später, haben sich beide von ihren Partnern getrennt.
«… weil ich immer diese Sehnsucht hatte. Weil ich immer das Gefühl hatte, dass da noch mehr sein muss …»
Sie haben beide den gleichen Weg gewählt, ohne vom anderen zu wissen, zu ahnen. Und, der Zufall hat es gewollt, dass sie sich nach über zwanzig getrennten Jahren wieder begegnet sind.
«Ein Blick und alles war klar. Seither sind wir wieder ein Paar und das ist jetzt 8 Jahre her. Ich bin 60, er ist 52.»
Mit der Trennung von den aktuellen Partnern kam auch für beide eine neue Lebensphase zum Tragen. Er war IT Leiter in Grossbanken und lässt sich aktuell zur Lehrperson ausbilden. Sie war Kindergärtnerin und hat beschlossen, dass sie mit der Hektik des Berufsalltages nicht mehr klarkommt, klarkommen will. Und gönnt sich eine Auszeit.
«Weißt du, wenn du glaubst, dass du jemals fertig bist, mit Lernen, Entwickeln, Weitergehen, dann hast du dich getäuscht. Das ist es nie. Aber, die Jahre bringen etwas Ruhe und Gelassenheit mit sich. Rückblickend, mit all den Erfahrungen, würden wir, wären wir heute Anfang zwanzig, nicht die Karriere über die Liebe stellen. Sondern umgekehrt. Aber es war wohl trotzdem wichtig, den Weg zu gehen. Und, wir haben ja die zweite Chance bekommen.»
Sagens und strahlen sich an. Ein paar Augenblicke später verabschieden wir uns. Ich gehe meinen Weg, sie ihren. Es war ein kurzer Moment, den wir geteilt haben. Aber ein unheimlich wertvoller. Denn, es zeigt mir, dass es Lebensgeschichten mit Happy End gibt. Auch wenn es unterwegs oft nicht unbedingt danach aussieht. In diesem Sinne: Augen auf und durch! Denn, mit geschlossenen Augen würde man all das Schöne rechts und links verpassen.

http://www.musenalp-nw.ch/

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