Ein runder Geburtstag.

„Er führt eine Familientradition fort und wird Vater eines unehelichen Kindes.“ Das Gelächter im Saal schwillt für einen kurzen Moment an. Um wenig später wieder gespanntem Zuhören Platz zu machen. Was hier erzählt wird, ist die Lebensgeschichte eines Menschen. Ich kenne ihn kaum, diesen Mann. Was ich in den nächsten Minuten mitbekomme, lässt mich mal schmunzeln, mal staunen. Und ich bin berührt davon, was ich höre. Es fällt leicht, dem Redner die Aufmerksamkeit zu schenken. Man gewährt mir Einblick in ein einzigartiges Leben.

Ein Mensch, in eine schwierige wirtschaftliche Zeit hineingeboren, vermag es, seinen Tagen die Sonnenseiten abzutrotzen. Von unbändiger Energie getrieben sucht er stets nach Lösungen. Das uneheliche Kind ist keines mehr. Man hat geheiratet. Und zum einen Sohn kam ein zweiter dazu. Über viele kleine Taten, oft knapp am Gesetz vorbei, wird berichtet. Wildjagd in den Bergen, Fischjagd in den Flüssen; die Familie muss versorgt sein. Der Vater ist oft unterwegs, auf Montage. Manchmal auch für Organisatorisches, wie man schmunzelnd erwähnt. – Man sieht den Schalk noch immer in seinen Augen blitzen. Gerade jetzt, wo er sich wohl selber an die Zeiten zurückerinnert. – Seine Frau hält ihm den Rücken frei. „Wir hatten ein liebevolles Elternhaus. Und von jeder Reise brachtest du uns etwas mit nach Hause.“ Ein gestandener Mann hält eine Lobrede auf seinen Vater. „Es gab zwei Dinge im Leben die du konsequent nicht gemocht hast. Das Rauchen und Mopeds. Wir haben diese Sachen unter uns aufgeteilt. Mein Bruder das Moped, ich die Zigarren.“ Wieder wird herzhaft gelacht. Ich blicke um mich. Schön, wenn ein betagter Mensch noch so viele Bekannte auf sein Geburtstagsfest einladen kann. Denn ab einem gewissen Alter ist das Lebensende irgendwie allgegenwärtig. So habe er nach dem Tod seiner Frau lange gehadert, sich jedoch irgendwann gefangen und neuen Lebensmut gewonnen. „Du warst immer für uns da. Und bist es auch heute noch.“ Die kräftige Stimme gerät ins Straucheln. Tränen begleiten die letzten Worte. „Und dafür danken wir dir von ganzem Herzen.“ Jetzt kullern auch meine Wassertropfen über die Backen. Die emotionale Heftigkeit dieses Momentes geht durch Mark und Bein. Applaus von allen Seiten, eine herzliche Umarmung beider Söhne für ihren Vater. Der ganze Raum wird für einen Augenblick in einen samtenen Mantel aus Wärme gehüllt.

Minuten später steht der Jubilar mit seiner Band im Rampenlicht: die Spätzünder. Eine muntere Truppe, vier Frauen, drei Herren, gesetzteren Alters. Es verbindet sie die Liebe zur Musik, die Freude am Unterhalten. Das Repertoire ist gross und mein Herz wird mit jedem Lied schwerer und wehmütiger. Erinnern mich die Melodien an meine Kinderstube. Wie oft hat mein Papa mit seinem Akkordeon in der Stube gesessen und uns vorgespielt. Nach jedem Stück bedankt sich das Geburtstagskind mit einer sanft angedeuteten Verbeugung „Dankeschön, Dankeschön!“ Die Geste passt zu seinem Gewand. Ein Hemd, eine Weste, geschmückt mit einer Taschenuhr und auch das Jackett aus edlem Zwirn. Er kann manchem Jungspunn das Wasser reichen. Würde ich diese Gesellschaft einem verrotzten Bengel mit Hosenbund auf Kniehöhe bei weitem vorziehen. So langsam schleicht sich der Nachmittag dahin, macht dem frühen Abend Platz. Es wird Zeit heimzufahren. Man steht auf, verabschiedet sich. Meine Hand wird gleich vier Mal geschüttelt. Ich bin kurz davor, diesem wunderbaren Menschen, beinahe unbekannterweise, um den Hals zu fallen. „Komm mich bald besuchen und nimm deine Frau mit. Dann haben wir etwas Zeit zum Plaudern.“, ermahnt er meinen Liebsten.

Dass der Jubilar mit seinem eigenen Wagen ans Fest gefahren ist, versteht sich von selbst. Das Auto, ein Mercedes älteren Baujahres; denn gemäss Aussagen dauert es noch knapp drei Jahre, bis das Automobil in die Kategorie der Oldtimer gehört. Eine stilvollere Begleitung kann ich mir nicht vorstellen – für die Geburstagsfahrt dieses jungen 90 jährigen.

 

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