Das Ding mit der Sprache

“Unscharf? Wie jetzt, unscharf? Nein, ich finde dich nicht unscharf. Höchstens ein bisschen weichgezeichnet. Aber bestimmt nicht unscharf.” “Das kann man jetzt verstehen, wie man will”, war die Entgegnung. Ich überlege mir noch, was an meiner Aussage denn jetzt anders auszulegen ist. Als schlicht und einfach die Tatsache, dass das Bild ok ist. Was beim Empfänger aber scheinbar nicht so ankommt. Und so ist es oft. Der eine sendet aus, der andere empfängt. Und dann sind wir bei der schönen These, dass Empfangen nicht gleich Versenden, vergessen denn Verstehen ist. Weil uns da das Vier-Ohren Modell in die Quere grätscht. Wer kennt es nicht? Eine völlig harmlos gemeinte Botschaft endet in einem oscarverdächtigen Disput. Nur weil die Kanäle nicht auf der gleichen Frequenz laufen. “Ist dieser Teddybär zum Anziehen neu? Den hab ich ja noch nie gesehen?” “Willst du mir sagen, dass er dir nicht gefällt? Mir gefällt der Mantel und damit basta!” Das Mündchen zu einer Schnute verzogen, die Hände in die Hüften gestützt, kampfeslustig glitzernde Augen. Herr der Schöpfung kennt sich nicht mehr aus. Denn, mit keinem Wort hat er gesagt, dass ihm der Mantel nicht gefällt. Er hat lediglich mitteilen wollen, dass er findet, das Teil sehe kuschelig und flauschig aus. Tja … Unsachgemäss geäusserte Bemerkungen zu Kleidern sind gefährlich. Ein noch grösseres Minenfeld bieten jedoch lieb gemeinte Komplimente zu Körperteilen. “Ich mag deinen Po. Der ist so wohlgerundet.” “Du meinst, ich habe einen grossen Arsch? Vielen Dank aber auch!” “Nein, das habe ich mit keinem Wort gesagt. Ich finde deinen Hintern einfach nur schön. Genau richtig. Nicht so abgeflacht, wie von diesen Magermädchen.” “Also bin ich doch zu fett?” Und so geht die Diskussion in die Endlosschlaufe, bis Herr der Schöpfung ergeben die Arme hebt und sich für eine Bemerkung entschuldigt, die er so nicht gesagt und nicht gemeint hat.

Spannend ist, dass oft wir Frauen mehr hören, als gesagt wurde. Im Hineininterpretieren sind wir ganz grosse Klasse. Wenn der Angebetete seine Nachricht mit einem schlichten “bis später” abschliesst, wittern wir bereits die grösste Beziehungskrise und rufen unser Verteidigungsministerium (das sind dann die engen Freundinnen) auf den Plan. Gemeinsam wird diskutiert, sinniert, hinterfragt. Man arbeitet an Strategien, entwickelt Verschwörungstheorien. Während der ahnungslose Sender sich in Sicherheit wiegt und sich auf einen schönen Abend mit seiner Liebsten freut. Bei der staut sich in der Zwischenzeit eine wunderbare Mischung aus Angst, Frust, Eifersucht zusammen. Denn, es gibt tausend Gründe, warum er seine Nachricht nicht mit dem üblichen “Ich liebe dich, mein Engel.” beendet hat. Und ihr fällt mit Sicherheit jeder Einzelne ein. Nur nicht der Eine: Es hat nichts zu bedeuten! Er klingelt an ihrer Tür. Voller Vorfreude auf einen heissen Abend. Heiss wird er mit Sicherheit. Nur nicht in der Gegend, die er sich vorgestellt hat. Und so wird ein simples “Bis später” zu seinem vorübergehenden KO-Kriterium. In mühsamer Kleinarbeit bereitet er seine Verteidigungsstrategie vor, um dann im besten Fall mit einer Verwarnung davon zu kommen. Und das geschieht bei Menschen, die zumindest vokabularmässig die gleiche Sprache sprechen.

Etwas anders sieht es da mit dem Vokabular der Jugendlichen aus. Dass Menschen meiner Generation da manchmal nur noch Bahnhof verstehen, ist nachvollziehbar. Oder? “Läuft bei dir”, das Jugendwort des Jahres 2014, heisst so viel wie “Du hast es drauf.” Was mir aber ganz besonders gefällt, ist die Tatsache, dass Wörter aus anderen Sprachen (nicht englisch) ganz selbstverständlich in den deutschen Gebrauch übernommen werden. Die türkischinspirierte Jugendsprache, deren “Babo” immerhin das Jugendwort des Jahres 2013 wurde, schaffte es mit “Hayvan” (“Tier”, “Bestie”; umgangssprachlich auch: “Lümmel”) diesmal auf Platz drei. Frei durch Jugendliche genutzt bedeutet “Hayvan” wahlweise “Muskelpaket” oder “triebgesteuert”. Ganz wunderbar finde ich persönlich jedoch “Senfautomat”. Das steht für jemanden, der jede Bemerkung mit einer klugscheisserischen Gegenbemerkung kommentieren muss. Sollte mir demnächst eine Person dieser Gattung über den Weg laufen gibt es für mich nur noch die eine ganz klare, eindeutige und unmissverständliche Antwort. „Danke, du Senfautomat.“

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