Bus Nummer 25

Kichernd sitzen sie in der hintersten Reihe. Sie unscheinbar und leise zu nennen, wäre völlig verfehlt. Jede Person die einsteigt, widmet ihre Aufmerksamkeit zuallererst der hintersten Reihe. Ich auch. Hübsche Mädels sind es allesamt. Schlank, langbeinig, wohlproportionierte Brüste, langes, glänzendes Haar. So, wie die Mädchen heute einfach sind. Ich wundere mich, wie so was möglich ist. Was hat die Menschenkörper in den letzten Jahren so einheitlich werden lassen? Oder fällt mir einfach nur dieser eine Typus auf? Die Welt spricht von Übergewicht. Und ich sehe lauter Topmodels durch die Strassen stöckeln. Oder eben im Bus sitzen. Einheitskörper mit verschiedenen Aufsätzen um die Halsöffnung zu schliessen. Die jungen Burschen – gross, schlaksig und sehr modebewusst gekleidet.

Da fällt mir ein Spiel ein, das wir zu Hause hatten; simpel und lustig. Ein Würfel, sechs Kartenstapel: ein Stapel Kopf, ein Stapel Hals, ein Stapel Torso, einer Becken und Schenkel, einer Waden und der letzte die Schuhe. In jeweils sechs unterschiedlichen Dimensionen. Was haben wir gekichert, wenn wir uns unsere Clowns zusammengewürfelt haben. Schmaler Kopf auf dicken Bauch, dünne Beinchen zu überdimensionalen Schuhen – wunderbar. Ob das Spiel einen pädagogischen Gedanken verfolgte? Vielleicht. Für uns Kinder war es nicht wichtig. Es war einfach ein Spiel. Die jungen Leute im Bus spielen auch ein Spiel. Was ihnen im Bus aus der Mundöffnung purzelt, würde mit Sicherheit jeden Pädagogen in den Wahnsinn treiben. Lautes Geplapper, das ich mit einem Ohr verfolge. „Was würdest du lieber … Sabrina auf den Mund küssen oder die Sperma von Fabian vom Boden auflecken?” Diese Fragestellung ist in der Endlosschleife, einzig die Namen wechseln bei jedem Durchgang. Hoppla … Ganz schön offen, die Jungen. Und ganz ehrlich, ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken. „Hei, die Frau hat gelacht. Ich glaube, wir sollten etwas leiser sein!“ Die Frau – damit bin ich gemeint. Und das Mädchen entschuldigt sich bei mir. „Wir sind sonst nicht so. Wir sind nur müde.“ Genau! Davon bin ich überzeugt. Aber hei, ich war auch mal Teenie. Und wir haben auch Blödsinn geschwatzt. Gut möglich, dass wir Wörter wie Sperma und Schwanz nicht ganz so unbefangen in den Mund genommen haben (ich spreche von den Wörtern). Aber, jugendfrei waren unsere Sprüche auch nicht immer. Darum, quittiere ich die Bemerkung mit einem grinsenden „Schon ok”. Eine Meinung, die die Dame mit dem Kraushaar rechts von mir nicht zu teilen scheint. Ihr Mündchen wird vor Empörung ganz spitz, die Stirn legt sich in Falten, Schnappatmung setzt ein und ich habe Angst, dass sie gleich vom Sessel fällt. „Mach mal locker …“ denk ich mir. Und im gleichen Augenblick stell ich mir die Frau beim Liebespiel mit ihrem Angetrauten vor. „Hugo, mach dann bitte das Licht aus, bevor du dich ausziehst.“ Und dann husch, husch unter die Decke. Einmal Missionarsstellung und hoffen, dass es bald vorbei ist. Nein, ich will diese Bilder nicht. Kopfkino – off! Hin und wieder wär es ganz nice, eine nicht ganz so blühende Fantasie zu haben. Das Spiel (nicht das in meinem Kopf) geht munter weiter. Die spitzmündige Dame ähnelt je länger je mehr einer verkniffenen Freske. Und bei der nächsten Haltestelle steigt sie mit einem zischenden „Das gibt’s ja gar nicht“ aus. Sorry. Die Lady tut mir leid. Soll sie den Kids doch den Spass lassen. Die Jungs und Mädels haben niemanden beleidigt, sind niemandem zu nahe getreten. Etwas mehr Toleranz bitteschön. Und wer damit nicht umgehen kann, soll halt einfach nicht hinhören.

Die folgende Haltestelle ist meine. Ich schnapp mir meinen Rucksack und zwei Taschen. Und da springt einer der Jungs auf, um mir seine Hilfe anzubieten, damit ich besser aus dem Bus komme. Jesses! Darauf war ich nicht vorbereitet. Sehe ich so mitleiderregend aus? Ich tendiere auf … gute Manieren. Das fällt mir nämlich des Öfteren auf, wenn ich im Bus No 25 unterwegs bin. Auf dieser Strecke scheinen gute Manieren an jeder Haltestelle zu warten. Und, das überwiegt schlussendlich jede Sperma-Aufleck-Diskussion. Ich wage die Vermutung, dass die Jungs und Mädels den Bodenlappen zur Hand nehmen würden. Ganz so, wie sie es in ihrer guten Kinderstube gelernt haben. Aber hin und wieder sollte die Kinderstube einem Abenteuerspielplatz weichen – gerne als Buslinie 25 getarnt.

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