Wer ist “man”?

Das tut man nicht … einer der am Häufigsten gehörten, gesprochenen Sätze. Wortschatz, den Kinder schon früh eingetrichtert bekommen. Man … Man muss eine mächtige Person gewesen sein. Wie sonst ist es möglich, dass die Welt sich nach man richtet. Ganze Erziehungsmassnahmen beruhen auf man. Ganze Völker funktionieren nach dem man-Prinzip. Ein Mädchen trägt gerne rosa und Röcke. Hat man entschieden. Bei einem Buben ist es blau und hosig. Das Mädchen kriegt die Puppe, der Junge das Schwert. Continue reading

Kontrastprogramm

So langsam kommen wir ins Gespräch, die ältere Dame und ich. Seit einer Stunde sitzen wir Tisch an Tisch. Beide die Gesichter in die Sonne gereckt. Wärme tankend, den säuselnden Wind geniessend. Die karierten Tischdecken passen in die Landschaft. Genauso wie die karierte Dirndl-Bluse der Kellnerin. Sie ist schön. Nicht die Kellnerin. Die Frau am Nachbarstisch. Schön und … wohlhabend. Zumindest lassen ihr Schmuck und ihr sehr gepflegtes Aussehen darauf schliessen. Das Haar ist zeitlos und perfekt frisiert. Das Gesicht, von einem fein gesponnen Lebensnetz überzogen. Ihre Hände sind gepflegt, die Finger zeugen von regelmässiger Maniküre. Aber kräftig scheinen sie, ihre Hände. Sie wirkt jugendlich ohne verzweifelt jung sein zu wollen.

Eine grosse, dunkle Wolke schiebt sich vor die Sonne. Träge, stetig. Was meine Nachbarin zu einer launigen Bemerkung verleitet, die ich mit einem Lachen quittiere. Und schon steck ich mittendrin. In ihrer Familiengeschichte. Sie schildert, dass ihr Sohn vor 6 Jahren nach Australien ausgewandert ist. Und wie schwierig das für sie sei. Ja, sie kennt Australien. Sind sie doch als Familie oft da hingereist und mit dem Camper durch die endlose Weite gepilgert. Aber da war sie noch jünger und liebte das Reisen. Heute mag sie diese Langstreckenflüge nicht mehr so. Doch, ihren Sohn nicht mehr sehen, das mag sie noch viel weniger. Eigentlich geht es in der Zwischenzeit mehr um die Enkel. An die hat sie ihr ganzes Herz verschenkt. So gerne wäre sie Vollzeitgrosi. Nicht nur Feriengrosi, einmal im Jahr. Schlussendlich sei sie wohl Schuld, dass der Junior verreist sei. Wenn sie damals, vor vielen Jahren nicht so oft … Dann würde er jetzt nicht genau da leben. Die grosse dunkle Wolke am Himmel hat sich verzogen. Dafür steht da jetzt eine kleine dunkle über ihrer Stirn. “Nichts ist für immer …” wage ich keck zu behaupten. Sie sieht mich skeptisch an. So nach dem Motto “was weisst du denn schon, du junges Kücken”. Trotzdem, die Diskussion ist spannend. Ihre Ansichten darüber, was eine Mutter ist und wo die Prioritäten sein sollten. “Eine Frau bekommt doch nicht Kinder, um danach wieder voller Ehrgeiz im Job durchzustarten.” Dass man dranbleiben will, das kann sie verstehen. “Aber es muss doch möglich sein, sich trotzdem um die Kinder zu kümmern.” Auf der anderen Seite sei sie aber froh, dass es solche Vollzeitberufsweiber gibt. Sie hat sich auf ein Inserat als “Ersatzgrosi” beworben. Und betreut jetzt die süsse Sechsjährige einer Arztfamilie. Weil sie und er im Job so eingespannt sind, dass für das Kind keine Zeit bleibt. Und, sobald die Dame über ihr gemietetes Enkelkind spricht, sieht sie um Jahre jünger aus. Die Augen beginnen zu leuchten, das Gesicht strahlt, wie von einer tausend Watt Birne erhellt. So schön … Die Plauderei findet just dann ein Ende, als die Wolke am Himmel pinkelt und einen Sturzbach auf die Erde schickt. Eiliges Zusammenklauben der Habseligkeiten. Und runter vom Berg. Das Gesicht begleitet mich noch eine Weile. Es muss wohl schwierig sein für Eltern, wenn ihre Kinder in die weite Welt ziehen. Mein Gedanke dazu.

Nur, um am nächsten Tag eines Besseren belehrt zu werden. Es ist nicht für alle Eltern schwierig. “Der Bengel ist einfach sackfaul. Der soll sich mal den Arsch aufreissen. Aber die in der Schule schauen ja auch nicht. Die Lehrer müssen sich doch darum kümmern, dass die Hausaufgaben gemacht werden”, keift eine. Nein, ich nenne sie nicht Dame. Das passt nämlich gar nicht zu ihrer Stimmlage. Meine Öhrchen spitzen sich. (Sorry. Wenn ein gewisser Tonfall angeschlagen wird, kann ich einfach nicht weghören). “Und am Wochenende schick ich ihn ja dann immer weg. Ich habe mich so organisiert, dass er abwechselnd bei einem guten Kumpel von mir und dann wieder bei meinem Ex ist. Man sagt ja immer, dass ein Kind auch einen Vater braucht.” Aha, ich bin mir nur nicht sicher, ob diese Massnahme die geeignete ist. “Und ich habe Zeit für mich.” Verstehe ich das jetzt richtig? Während der Woche geht er zur Schule und am Wochenende braucht sie Zeit für sich? “Ich habe keine Lust zu schauen, dass er seinen Scheiss erledigt. Soll er doch selber. Hab im Job grad einen so guten Lauf, das will ich nicht gefährden. Vielleicht sollte ich eine Hausaufgabenbetreuung suchen. Dann wäre ich dieses Problem auch los.” Das wird mir jetzt echt zu blöd und ich frage mich, warum diese Mutter überhaupt ein Kind in die Welt gesetzt hat. Urteilen steht mir eigentlich nicht zu. Ich bin nicht Mutter und habe keinen Plan, wie anstrengend, aufreibend, hektisch das Leben mit Kindern sein kann. Nur, da gibt es doch auch die schönen Seiten. Wenn die Knirpse einem angucken, aus grossen unschuldigen Augen und ein “ich hab dich lieb” von sich geben. So gehts mir auf jeden Fall mit meinen Patenkindern. Aber die anderen Momente sind wohl zahlreicher? Da fällt mir grad eine Szene ein, vor Längerem erlebt in einer Bäckerei. Eine ebenso gestresste wie genervte Mutter kauft für ihren Sprössling ein Znünibrötli und beklagt sich, dass immer alles so hektisch sei. Sie immer alles organisieren müsse. Worauf der Dreikäsehoch keck meint: “Mami, das ist halt so, wenn man Kinder hat.”