Es gibt immer ein nächstes Mal

“Und jetzt laufen die Turnerinnen der Gruppen K1 und K2 ein. Sie zeigen uns ihr Können am Reck, am Sprung und auf dem Boden. Bitte heisst die Mädchen mit einem Applaus willkommen.” Gefühlte tausend kleine Prinzessinnen stolzieren in die Halle. Allesamt wunderhübsch in Glitzerkostüme verpackt. Grazile, beinahe zerbrechliche Körper und lange, streng zurückgebundene Haare. Jedes dieser kleinen Mädchen will sich heute den Traum vom Podestplatz erfüllen. Nur wenigen wird er vergönnt sein.Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Podestplatz erreicht. Doch, einen einzigen. Damals … vor ewiger Zeit. Der Turnhallengroove hat mich wieder. Ich war, nett formuliert, nicht sehr begabt. Beim Hochsprung landete ich, wenn überhaupt, auf der Stange, weil der Schnuuf für einen wirklich ambitionierten Hupf nicht reichte. Und in diesem mit kleinen Filzbällen um sich Werfen habe ich eh nie einen Sinn gesehen. Vielleicht flogen die Dinger darum immer in die falsche Richtung. Die haben gespürt, dass wir nicht auf einer Wellenlänge stehen. Wenn es um Dinge ging, die ein gewisses Mass an Mut und Draufgängertum brauchten, war ich in meinem Element. Beim Fussball gefürchtet. Einfach, weil ich den Körperkontakt nicht scheute und heirassa gut foulen konnte. Meine, nennen wir sie mal eher etwas korpulentere, Statur war natürlich eine gute Waffe. Gut Gewicht gut eingesetzt hat Schlagkraft. Aber mal ehrlich, so wirklich happy hab ich mich in dieser Folterkammer nie gefühlt. Dass unser Lehrer seine Kleider jeweils eher knapp wählte und das T-Shirt die Hälfte von seinem kugelrunden, käseblassen Bauch freiliess, macht die Sache nicht besser. Und dann erst die knackigen blau-weissen adidas Stoffhöschen. Für Fantasie blieb da nicht viel Raum. Dafür für umso mehr fiese Sprüche von Seiten Lehrpersonen. Wenn ich mir überlege, was das heute für einen Mutter-Vater-Massenauflauf geben würde. Wir haben doch zu unserer Schulzeit immer mal wieder eine verbale Ohrfeige gekriegt. Ich sogar mal eine non verbale. Aber finally hatten immer die Lehrer recht. Ganz bestimmt nicht die Schüler. Sieht inzwischen wohl etwas anders aus. Die fiesen Sprüche haben wir überlebt. (Ich behaupte nicht, dass ich ohne Schaden davongekommen bin). Und wie schon erwähnt, ich habe sogar mal einen Podestplatz erreicht. Beim schnellsten Eicher. Die kleine Runde lief auf den dritten Platz. What a feeling! Dass wir nur zu dritt gestartet sind, konnte ich damals noch ausblenden und mich einfach saumässig über den Plämpel freuen, den ich bekommen habe. Ich habe manchmal eh das Gefühl, dass mehr an mir abgeprallt ist, als ich noch etwas fülliger war. Hat wohl schon etwas Wahres, wenn man von einem Schutzpanzer spricht. Oder vielleicht war ich damals auch einfach weniger auf das Urteil von Aussen fixiert. Habe mich darum foutiert, was andere denken. Und mein Leben gelebt. Wer weiss. Oder ist es diese unglaubliche Eigenschaft ganz im Moment zu sein? Den Fokus auf den Mikrokosmos gerichtet, in dem man sich gerade befindet? Diese bewundernswerte Fähigkeit entdecke ich nämlich an meinen Paternkindern. Und gehe davon aus, dass ich sie auch mal hatte.

Auf jeden Fall machen die kleinen Glitzerkleiderprinzessinnen ihre Sache gut. Dass ich in erster Linie wegen einer ganz besonderen kleinen Turnerin hier bin ist klar. Sie ist noch kleiner, feiner und zarter als alle anderen. Dafür besitzt sie eine unglaubliche Ruhe und ein Selbstvertrauen, das strotzt. In einem der letzten Trainings vor dem Wettkampf war sie nicht grad in Topform. Die Trainerin meinte dann nur, dass das heute ja wohl keine Glanzleistung gewesen sei. Worauf die Kleine keck erwiderte “Das wirklich Gute spar ich mir für den Wettkampf auf”. Was sie dann auch wirklich getan hat. Ich sitze in dieser Turnhalle, platze vor Stolz und bin dankbar, dass diese kleinen Geschöpfe lernen dürfen, sich zu messen. Sieg und Niederlage einzustecken und erhobenen Hauptes vom Schlachtfeld zu gehen. Im Wissen, dass es ein nächstes Mal geben wird und die Karten dann wieder neu gemischt werden.

Mit diesem Wissen werden sie verdammt gut gewappnet sein für den Alltag. Für Situationen, wenn es darum geht, die Ellbogen auszufahren und eine Schlacht zu schlagen. Mit dem Wissen im Hinterkopf: egal, wie der Wettbewerb ausgeht. Es gibt immer ein nächstes Mal.