Wenn hinten und vorne nichts mehr geht

Souverän, überlegt, eloquent, selten um Worte verlegen und immer mal wieder einen hübschen Spruch parat. In ganz wenigen Lebensmomenten stehe ich mit meinem Wortschatz an der Wand. Oder dann eben an der Theke.

Der sonnigste aller Nachmittage, den man sich im Januar überhaupt vorstellen kann. Ich hab mich hübsch gemacht. Strahle mit der Sonne um die Wette, ein feines Mäntelchen angezogen, die passende Tasche dazu um die Schulter gehängt. Denn ich habe heute eine delikate Mission. Auf meinen drei Beinen humple ich durch die Altstadt. Obwohl, mein Tempo ist nach einer Woche üben schon ganz schön beachtlich. Das Erstaunlichste ist ja, dass auf einmal alle Menschen das Gefühl haben, sie müssen ihre eigenen Leiden mit einem teilen. Leiden verbindet und macht solidarisch. Ich kenne innerhalb weniger Stunden die Krankengeschichte von nicht weniger als drei Personen. Ungefragt, notabene! Ich schmücke mein Zuhören mit “ohs, ahs, ohjehs” und zeige dabei freundlich lächelnd meine fein säuberlich geputzten Zahnreihen. Wie schön wärs, wenn Wildfremde auch mal Freude mit einem teilen würden. Einfach so. Mal ein sonniges Erlebnis erzählen, ungefragt. Jemandem, den man nicht kennt? Ist es wirklich einfacher, über Unschönes zu reden, solange es nicht zu sehr ins Detail geht?

An meinem Ziel angekommen stell ich mich an die Theke. Es scheint, dass ich einen guten Moment erwischt habe. Nicht viele Leute hier. Wunderbar! Just als ich mein Anliegen vorbringen will, stellen sich fünf weitere Personen hinter mich. Haben die ein Treffen beim Apotheker vereinbart? Mist! Also, Haupt hoch und raus damit. Ich erkläre der Tante in der weissen Scheube, dass ich seit meiner Dauerberieselung durch Antibiotika an einem bestimmten Ort ziemlich empfindlich sei. Da ja das Ding mit dem Stuhlgang (tschuldigung) ziemlich flott lief. Die Dame fragt in einer ziemlichen Lautstärke noch ungefähr dreimal nach, wie sich das denn anfühle und auswirke. Mein souveräner Auftritt verkommt zur Parodie. Und ich spüre förmlich, wie meine Ohren immer röter werden und sich die Ohren in meinem Rücken ganz auf unser Gespräch konzentrieren. Oh mann, kann die denn nicht etwas dezenter sein? Ich habe wohl grad die Kompetenteste von Allen gekriegt. Sie muss dann nämlich noch “schnöu die Kollegin go froge” was sie in meinem Fall empfiehlt. Ich und fünf andere Augenpaare verfolgen sie und hören ihrer blumigen Schilderung meines Problems zu. Die drei, die an der anderen Theke stehen kriegen das natürlich auch mit. So langsam zucken meine Mundwinkel. Grins. Die Köpfe der Kunden bewegen sich im Gleichschritt mit meiner Beraterin. Wie bei einem Tennismatch. Schauen, wer den nächsten Punkt macht. Sie kommt zurück und meint “Jaja, da kann ich Ihnen genau diese Salbe empfehlen. Die lässt sich gut einreiben. Und für Bébés, die von den Windeln wund sind, verwenden wir die auch.” Aha! Dann nehm ich die doch. Was für wunde Kinderpopos gut ist, muss ja bei mir erst recht funktionieren.

Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich die Lösung für mein Problem in der Hand. Humple elegant aus der Apotheke raus, verfolgt von vielen Augenpaaren. Draussen atme ich erst mal tief durch und denk mir: Wenn hinten und vorne nichts mehr geht, darf man auch mal die Hosen runter lassen.