Ein Platz an der Sonne

Sitze da. Mein Blick wandert zum Fenster. Schweift nach oben zum Himmel. Er sieht zornig aus, der Himmel. Wie er sich da oben zeigt. Wilde Wolkenformationen in bedrohlichen Grautönen tun sich zusammen. Als planten sie eine wichtige Versammlung. Unendlich viele liefern sich ein Wettrennen um die besten Plätze. Die Grossen und Mächtigen schieben sich vor die Kleinen. Laut und wichtig stehen sie da. Die Kleinen, flinken müssen sich ihren Raum erkämpfen. Wendig, schnell und verwegen. Mir scheint, als lassen sie sich im Schatten der Grossen mittreiben. Um in einem lichten Moment irgendwo eine Lücke zu erwischen. Und ein eigenes Plätzchen zu beziehen. Für einen Augenblick kehrt Ruhe ein. Um nur kurz darauf wieder regem Treiben Raum zu machen. Die Wolkenkarawane zieht weiter. Eine amöbenhafte Tierherde am Firmament. Sich Machtkämpfe liefernd. Permanent die Form und das Aussehen wechselnd. Continue reading

Ohne Worte

Bist du schon mal Achterbahn gefahren? Ja? Du sitzt in diesem kleinen Wägelchen. Festgeschnallt. An einem kleinen, blöden Sicherheitsbügel, natürlich TÜV geprüft, hängt dein Leben. Das Gefährt ruckelt ganz langsam die Schiene hoch. Der Wind säuselt um dein Gesicht und flüstert Fieses in deine Ohren. Meist höre ich dann noch irgendwo ein verdächtiges Geräusch. Mein Puls jagt in die Höhe. Rundherum – bodenloses Nichts. Ich klammere mich an den Bügel. Und schicke Stossgebete in die Wolken. Viele angespannte Gesichter, auch freudige erregte. Angekommen auf dem höchsten Punkt (nicht zu verwechseln mit dem Höhepunkt). Der Atem stockt und … dann donnert dieses kleine Scheissding in die Tiefe. Die Magensäfte bewegen sich gegengleich in die Höhe und die Gesichtszüge entgleiten. Und mit ihnen jegliche menschliche Zurückhaltung. Ein G … folgt aufs nächste: Geschrei, Gekreisch, Gejohle, Gequietsche. Als gäbe es kein Morgen und den Preis für die Dezibel reichste Darbietung zu gewinnen. Eigentlich bin ich nicht so scharf auf Achterbahnen. Mein Leben beschert mir so schon genug Höhen und Tiefen. Und mit Adrenalin werde ich auch reichlich versorgt. Dass die Gesichtszüge der Schwerkraft folgen, bringen die Jahre so mit sich. Also sehe ich nicht ganz ein, warum ich dafür dann Geld ausgeben soll. Trotzdem – hin und wieder lass ich mich breitschlagen. Und überwinde mich. Um dann, voller Stolz, zerzauster Frisur und sauren Magensäften aus der Klapperkiste zu steigen: Yes! I did it! Denn, wenn ich etwas nicht mag, dann mein Leben in die Hände von technisch gesteuerten Geräten ohne Bodenkonktakt geben. Das fängt bei der Achterbahn an und hört beim Flugzeug auf. Diese Dinge sind mir suspekt. Und trotzdem setze ich mich ihnen hin und wieder aus. Mehr oder weniger freiwillig. Spannend an solchen Aktionen ist jedoch, dass ich dann einen ungeheuren Lebenshunger, eine wahnsinnige Dankbarkeit für all das was ich bin und habe und tausend gute Vorsätze entwickle. Binnen Sekunden kann ich im Kopf ein ganzes Buch schreiben. Die Gedanken rattern. Für alles andere bleibt keine Energie. Einfach, weil ich so mit Angst haben beschäftigt bin, dass ich vollkommen ruhig und sprachlos werde. Schon beinahe apathisch – für mein Wesen also ziemlich ungewöhnlich. Wärs möglich, dass man mich deswegen hin und wieder mit auf die Achterbahn oder in ein Flugzeug nimmt?

Abendstimmung

Rosa gefärbte Wolkenfetzen sind an den hellblauen Himmel geklebt.
Sie hängen da, wie Zuckerwattenreste, die vom Wind in die Höhe geblasen wurden.
Formieren sich zu einem Fantasiegebilde. Um kurze Zeit darauf weiterzuziehen.
Alsbald Hase, Schildkröte und Drache am dunkler werdenden Himmel vereint.
Dazwischen zischt ein Kondensstreifen durch die Wolkenwelt. Ein Flugzeug
hinterlässt seine Spuren. Bringt seine Gäste in ferne Länder. Die einen.
Nach Hause, die anderen.

Die Wolkenpracht über den Bergen gleissend rot. Wetteifert mit den
mächtigen Gipfel um Aufmerksamkeit. Oder … umhüllt sie zärtlich.
Wie eine Geliebte, die ihren kostbaren Schatz in edle und wärmende
Stoffe packt. Um ihn vor der Dunkelheit der Nacht zu schützen.
So scheint es mir. Ein kurzer Blick aus dem Fenster. Und mir wird
einmal mehr bewusst, wie vollkommen alles ist. Die Natur. Ein
Kommen und Gehen. Tag und Nacht gleiten sanft ineinander über.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter reichen sich die Hand.
Geburt, Leben, Tod. Alles im Fluss.

Rund um mich herum Menschen. Jeder einzelne ein Unikat.
Mit viel Liebe entwickelt. Perfekt durchdacht. Mit vielen Details bedacht.
Ein Kunstwerk, das seinesgleichen sucht. Jeder in sich versunken. Nach Zerstreuung suchend. Den Blick auf die Zeitung gerichtet. Finger, die eilige Zeilen, Worte in ein Laptop tippen. Eine liebe Nachricht an einen wertvollen Menschen? Oder an einem wichtigen Projekt arbeitend? Augen, die einen unsinnigen Film auf dem Pad anschauen. Alle beschäftigt. Mit sich und dem, was wichtig scheint.

Kein Blick dafür, was sich da draussen grad abspielt. Brennender Wolkenhimmel
und dunkle Berggipfel die im See versinken. Und als Aquarellgemälde wieder auftauchen.
So unwirklich schön. Wäre die Natur ein Mensch. Sie hätte schon lange losgepoltert.
Schaut her! Seht mich an! Das alles tu ich nur für euch. Und ihr schenkt mir keinen
Funken Beachtung. Alles kostenlos und völlig umsonst. Sie kann nicht poltern.
Und wird deshalb negiert. Was nicht laut ist, wird ignoriert? Was kein Preisschild
trägt, ist wertlos? So scheint es mir.

Statt sich an dem zu erfreuen, was sich direkt vor unseren Augen abspielt, suchen
wir Unterhaltung. Statt dem Gegenüber Beachtung zu schenken, verschmelzen wir mit
unserem Bildschirm. Statt zu reden, schreiben wir unsinnige Kurznachrichten.
Und irgendwann, sitzt einer alleine da. Schaut aus dem Fenster und fragt sich,
warum er sich grad alleine fühlt. Weil alles so wichtig ist, dass keine Zeit mehr
bleibt, für rosa gefärbte traumfigurenerzeugende Zuckerwattenreste?