Nachdenken

Ein simples Wort. Zehn Buchstaben aneinandergereiht ergeben einen Sinn. Wer wohl der Schöpfer dieses Wortes ist? Natürlich – der Ursprung wird im Lateinischen zu finden sein. Aber auch damals muss es jemanden gegeben haben, der die Intuition hatte, die Sprache zu entwickeln. Und woher kam diese Eingebung? Eines herrlichen Morgens aufgestanden und gewusst, was zu tun ist? Ist es nicht ein Phänomen, wie sich alles entwickelt hat? Nachdenken. Nach und Denken. In die Mundart umgemünzt heisst nach auch Nähe. Oder nach etwas anderem. Insofern kommt das Denken nach … dem Handeln? Manchmal sieht es so aus. Zuerst tun und dann folgt eine der unzähligen Tätigkeiten: sich bedenken, sich besinnen, über etwas brüten, denken, durchdenken, sich fragen, sich Gedanken machen, einem Gedanken nachhängen, seinen Gedanken nachhängen, seine Gedanken zusammennehmen, seinen Geist anstrengen, grübeln, herumrätseln, sich das Hirn zermartern, knobeln, sich den Kopf zerbrechen, meditieren, nachgrübeln, nachsinnen, philosophieren, rätseln, reflektieren, sinnen, sinnieren, spinnen, spintisieren, tüfteln, überdenken, überlegen, den Verstand gebrauchen.

Wie oft stehen wir in Situationen, in denen die Denkrädchen nicht automatisch mitdrehen? Eine unmittelbare Reaktion aus dem Bauch heraus erfolgt? Oft ist das schön und gut, gewinnbringend und nützlich. Aber, manchmal kann auch ein Bumerang daraus entstehen. Dem Liebsten in einem unbedachten Moment eine Gemeinheit an den Kopf geworfen. Meist steht der Arme dann verdutzt da und weiss nicht, wie ihm geschieht. Eben war doch noch alles in bester Ordnung. Wir aber finden nicht, dass dem so ist. Eine klitzekleine Kleinigkeit hat uns auf die Palme gebracht. Vermutlich war der Stein des Anstosses ein ganz anderer. Aber, der Mensch an unserer Seite muss herhalten. Prellbock, Schuldiger, Verursacher. Ich erinnere mich an eine schöne Szene. Tag fünf in einem Nationalpark in Chile. Die Rucksäcke (bepackt mit Allem, was es zum draussen Leben braucht) wiegen immer schwerer, obwohl sich weniger Material darin befindet. Ein grosser Teil der Essrationen ist vertilgt. Wir haben viele Stunden Marschzeit in den Beinen. So auch an diesem Tag. Uns steht eine ziemlich lange Route bevor. Meine Kollegin und ich sind etwas angeknabbert. Die Erlebnisse der vergangenen Tage wollen verarbeitet werden. Der Körper sehnt sich nach einer richtigen Dusche und einem Bett. Aber, genau diese Dinge sind noch ca 12 Stunden von uns entfernt. Wir schlängeln uns durch die Wälder. Aus dem Schlängeln wird alsbald ein Schlurfen und irgendwann bleibt meine Kollegin einfach stehen. Von Sitzstreik zu sprechen wäre falsch. Stehstreik trifft es schon eher. Ich sehe diesen verzweifelten Ausdruck in ihren Augen. Und spüre, dass da ein Vulkan brodelt, der auszubrechen droht, wenn … Dieses „wenn“ ist aber nicht gegeben, weil ich nicht ihr Partner bin. Ich schaue sie an, schmunzelnd: „Wenn ich dein Freund wäre, würdest du mich jetzt gottlos zusammenstauchen, gell?“ Sie guckt zuerst ziemlich verdutzt, dann beginnt sie laut zu lachen. „Ja, genau das würde ich tun!“ Wieso funktioniert Mensch so?

Das was uns am Nächsten, Liebsten ist, kriegt die volle Ladung. Wenn uns der Chef piesackt, grummeln wir abends unsere Familie an. Stehen wir mit dem linken Fuss auf, dann kriegt der Erste, der uns in den eigenen vier Wänden über den Weg läuft, einen Anschnauzer. Bei mir ist das dann meist mein eigenes Spiegelbild im Badezimmer. Wobei ich relativieren muss, dass diese Aktion bei weitem nicht so effektiv ist, wie wenn ich jemanden aus Fleisch und Blut vor mir habe. Würden wir in solchen Momenten vielleicht zuerst mal nachdenken, was denn Sache ist … wäre alles nicht ein bisschen entspannter? In anderen Augenblicken sind wir ja dann wieder Weltmeister im „uns Gedanken“ machen. Anstatt jemandem einfach so ins Gesicht zu sagen: „Ich liebe dich! Ich finde dich toll! Du siehst klasse aus! Das hast du toll gemacht!“ überlegen wir uns tausendmal, ob, wie, warum, wann man das jetzt überhaupt erwähnen soll. In Herzensdingen steckt MEIN „Nachdenken“ oftmals in Kinderschuhen. Sprich – ich handle aus dem Bauch heraus. Dass mich das nicht immer vor Stolperern bewahrt hat, ist offensichtlich. Aber, den Mutigen gehört die Welt und ich habe gelernt, dass nach jedem Stolpern ein Aufstehen folgt. Und, bevor man umfällt, ists ja meistens auch ganz schön. Es sind oft die rasantesten, schönsten, erlebnisreichsten Abfahrten auf dem Bike, die einem dann irgendwo zu Fall bringen. Spass machts trotzdem. Und … nach vielen Malen üben fährt man selbst die anspruchsvollsten Strecken mit einer gewissen Leichtigkeit.

Vielleicht wäre es in einigen Momenten dennoch hilfreich, um nicht zu sagen, kleinere Katastrophen und persönliche Niederlagen vermeidend, ungemütliche Situationen umschiffend, erst mal ein bisschen „vorzudenken“. Da muss ich jetzt mal drüber nachdenken.