Iss dich s(ch)lim

Heute scheint ein guter Tag zu sein. Einer der Tage, an denen ich mich unwiderstehlich, locker und flockig fühle. Das ist der einzige Moment, der für allfällige Shoppingtouren in Frage kommt. Shopping ist mir grundsätzlich zuwider. Ich mag es nicht, in hell erleuchteten, viel zu engen Umkleidekabinen zu stehen. Ich mag es nicht, mich in zu kleine, zu grosse, zu enge oder zu weite Hosen zu quetschen. Ich mag es nicht, mich von spindeldürren Modeberaterinnen beäugen zu lassen. Aber ich kleide mich gerne adrett. Und darum muss es hin und wieder sein. Aber eben, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen ist schwierig. Weil, wirklich gut geht es mir, wenn ich verschwitzt, dreckig und stinkend auf einem Berggipfel stehe. Wenn sich Haarsträhnen aus meinem Zopf lösen und in meinem Gesicht klebenbleiben. Wenn die Augen vor Freude glänzen und die Wangen von der Anstrengung glühen. Da fühl ich mich unbezwingbar und unwiderstehlich. Aber, da oben gibt’s keine Shoppingmeilen. Nein, ich wünsche sie mir auch nicht dahin. Nur würd ich dieses Gefühl dann gerne festhalten, konservieren und auf Knopfdruck hervorzaubern – für die Momente, in denen ich in der Box stehe. Wenn Tiere in so was unanständig Kleines gesperrt werden, greift der Tierschutzverein ein. Ich könnte ja mal einen Antrag bei Human rights watch stellen. Vielleicht kann man Mindestmasse für Umkleidekabinen festlegen. Masse, in denen sich ein normaler, ausgewachsener Mensch auch wirklich wohl fühlt.

Egal. Heute fühl ich mich den Herausforderungen der Stadt und Modeboutiquen gewachsen. Ich bin gewappnet, um mich in den Kleiderdschungel zu stürzen. Jane und die Liane, wir kommen! Ok, die ist mehr geschaukelt. Aber ich marschier mutigen Schrittes voran und fühl mich wie Jeanne d’Arc. Rein ins erste Geschäft. Eine kunterbunte Auswahl an Farben und Schnitten – da bin ich schon mal leicht überfordert. Ich mag es gerne farbig. Das stimmt. Nur, wonach ist mir denn grad? Was passt aktuell in meinen Kleiderschrank und zu den restlichen Inhalten? Ich habe keinen blassen Schimmer. Und stelle fest, dass ich meine Outdoorgarderobe wesentlich präsenter habe, als den Rest meines nicht begehbaren Kleiderschrankes. Was dann wohl auch aufzeigt, wo die Prioritäten liegen. Egal. Ich brauch jetzt einfach mal eine neue Hose. Wie ich darauf komme? Naja – stand letzthin im Geschäft. Meine liebste, bequemste, älteste Jeans am Arsch. Und ja, bei genauerem Betrachten ist die Hose wirklich am Arsch. Sie hat überall Flicken, wurde von helfenden Händen schon x-fach genäht und droht doch bei jedem Schritt auseinanderzufallen. Aber hey, ich mag die Hose und fühle mich wohl mit ihr. Anderen scheint sie ein Dorn im Auge zu sein. Auf jeden Fall wurde eine Frage von mir zu einem bestimmten Thema von einer noch bestimmteren Person mit der Antwort „Da wird über Schnitt, Design und Trends diskutiert. Also nichts, was dich interessieren könnte“ quittiert. Den schiefen Seitenblick, der mir dabei zugeworfen wurde, werde ich auf Lebzeiten nicht mehr vergessen. Und aus diesem Grund steh ich jetzt hier in diesem Ladenlokal. Ich suche mir ein paar farbige Modelle aus den Kleiderhaufen. In der, wie ich eigentlich seit einigen Jahren meine, für mich richtigen Grösse. Und dann geht’s los. Die Erste krieg ich grad so zu den Knien hoch. Die zweite reicht zwar über meinen Po, ich sehe aber aus, wie frisch in Darmhäute eingewickelt. Bei der Dritten ist schon auf Wadenhöhe Schluss. Ja Heiland! Was soll denn das? Bin ich in der Kinderabteilung gelandet? Oder hat sich da wer einen Scherz erlaubt und anstelle von Hosenbeinen unterhalb des Gesässes Ärmel angenäht? Rein vom Durchmesser könnte es passen. Ich kriege sowas wie Schnappatmung und bin einigermassen entsetzt. Soll ich mich jetzt beschweren? Ich schlüpf in meine alte Hose und aus der Kabine. Und dann seh ich sie. All diese magerbeinigen Mädchen. Wie Störche staksen sie auf ihren langen, dünnen Beinen durch das Lokal. Hat die Evolution über Nacht einen weiteren Schritt gemacht und wir mutieren irgendwann alle zu Vögeln? Dass es unter den weiblichen Wesen Gänse gibt, streite ich ja nicht mal ab. Aber gleich die ganze Frauenpopulation. A propos Population. Von Po ist da auch nicht mehr viel zu sehen. Müssen wohl in Zukunft von Flachulation schreiben. Was jetzt? Ich gehe eine Station weiter und hoffe, dort fündig zu werden. Was aber nicht der Fall scheint. Eine nette Dame erbarmt sich meiner und fragt, ob ich Hilfe brauche. „Ja gerne. Ich suche eine Hose für Frauen, die auf Beinen und nicht auf Stelzen durchs Leben gehen.“ Sie schaut auf einmal etwas mitleidig und ich ahne, was sie mir antworten wird. „Die Mode ist im Augenblick so. Alles Slim geschnitten.“ Ihre Augen schieben ein „musst halt etwas abnehmen“ hinterher. Ja was denn? Ich war eigentlich der Meinung, dass ich ganz gut durchs Leben gehe. Meine Beine tragen mich auf jeden Berg und wieder runter. Sie fahren mit mir hunderte von Kilometern ohne aufzumucken. Sie laufen, hüpfen, springen. Nur eines können Sie nicht. Den Storchengang. Soll ich mich jetzt wirklich s(ch)limm hungern? Oder auf Sport verzichten um irgendwann in Size Slim zu passen? Dann verzichte ich lieber auf die aktuelle Mode. Nehme meine Baggy zur Hand und setz noch einen bunten Flicken obendrauf. So halten sie mindestens noch eine Saison. Und ich weiss, dass ich auch das nächste Mal nicht mitdabei bin, wenn es um Schnitte und Farben geht. Wer weiss. Vielleicht passt sich die Mode irgendwann wieder mal meinen Proportionen an. Slim, echt slim.