Abgespritzt

Ein warmer Lufthauch weht vom See. Er wirbelt die Sandkörnchen auf und lässt sie in der Luft tanzen. Wie tausend glitzernde Diamanten wirbeln sie umher. Ist da nicht sogar ein vergnügtes Kichern zu vernehmen? Irgendwann, vom feurigen Tango ermüdet, lassen sie sich auf mir nieder. Die milde Morgensonne hat sie erwärmt, die Körnchen. Sie schmiegen sich in jede Ritze, jeden kleinsten Spalt. Ach, wie lange musste ich auf diese ersten Sonnenstrahlen warten! Eingepfercht in mein Winterkostüm harrte ich der Dinge. Im Wissen, dass mein Tag wieder kommen wird. Und jetzt – ist er da! Ein buntes Gewirr von Stimmen um mich. Täusche ich mich oder klingt das Lachen um einen Ton heller, leichter? Mädchen in kurzen Röcken flirten mit den Sonnenstrahlen. Werfen kokett ihr Haar in den Nacken. Verstohlen beobachtet von pubertierenden Jungs, die vor Scham erröten, wenn sie sich ertappt fühlen. Um nur Sekunden später doch wieder einen Blick zu riskieren. Die Luft flirrt und knistert. Kinderlachen, Wasserplantschen, Bienensummen. Die ganze Welt in neue Farben gehüllt. Es scheint, als hätte jemand über Nacht mit einem Pinsel ein neues Gemälde erschaffen. 

Was reisst mich da aus meinen träumerischen Gedanken? Ein feines Rinnsaal schlängelt mein Bein herunter. Eiscreme, ein kühles Bier, eine Soda? Ich kann es nicht erkennen und schon gar nicht erreichen. Muss darauf warten, dass sich irgendwer daran stört und es abwischt. Das kann dauern. Wenn die Sonne lacht, stören sich die Menschen an wenigen Dingen. Toleranzgrenze erhöht. Warum nur dann, wenn der Himmel himmelhellblau ist und nicht immer? Irgendwo in der Nähe scheint Mann sich auf seine Berufung zu besinnen. Huld- und heldvoll steht er am Feuer. Er scheint in eine andere Zeit zurückversetzt. Das kleidende Fell übergezogen, die Keule schwingend macht er sich auf, die Beute für das Mahl zu erlegen. Um dann verwundert festzustellen, dass er in der Badeanstalt steht. Die Grillsaison ist eröffnet. Ein unglaublich leckerer, feiner Duft weht in meine Richtung.

Und dann, ist es vorbei mit der schönen Aussicht. Ächz! Da hat sich ganz was Gewaltiges auf mich draufgelegt. Ein bisschen Stoff, viel Haut, viel Fleisch. Es quillt rechts und links über den Rand. Sonnencreme vermischt sich mit Schweiss. Und bleibt an mir kleben. Warum kann diese Person kein Frotteetuch dazwischenlegen? Das würde meine Situation um einiges angenehmer gestalten! Wie lange sie wohl noch liegenbleibt? Meine Beine zittern schon. Ich ächze und stöhne ob der Last, die auf mir liegt. Noch eine halbe Stunde länger und ich krache zusammen! „Hallo?! So wird das nichts! Specken Sie gefälligst ab, bevor Sie sich auf mich drauflegen!“ Mein Hilferuf scheint auf taube Ohren zu stossen. Zum Glück will der Körperumfang versorgt werden. Aufstehen und Grillstation aufsuchen. Einmal volltanken bitte.

Oh là, là. Was haben wir denn da Hübsches? „Hierhin bitte! Ich bin noch frei!“ Ja, das ist doch ganz was Anderes. Hübscher Bikini, kecke, kleine Brüste, sportliche Figur, schon leicht vorgebräunt. Das Wasser rinnt an ihrem Körper herunter und verschwindet in einem kleinen Bächlein in der Hose. Hm … Und jetzt legt sie sich auf mich. Solche Gäste liebe ich! Die könnte ich stundenlang ertragen. Ihr Schweiss schmeckt frisch, süsslich. Begleitet vom Duft eines leichten Sommerparfums. Ich rieche Maiglöckchen, Pfirsich und Orange. Und bin verliebt. Auf der Stelle! Wie sich ihr schöner Körper an mich schmiegt. Ob sie wohl mein behagliches Schnurren hört? Doch, die Liebe ist nur von kurzer Dauer. Sie scheint ihrerseits bereits belegt. Auf jeden Fall baut sich da ein Macker unmissverständlich vor uns auf und stört unsere traute Zweisamkeit. „Adieu, meine Schöne! Komm bald wieder!“. Könnte ich weinen, würde jetzt wohl ein Tränchen kullern. Ein salziger Wassertropf, in dem sich all die Freude einer gefundenen und all das Leid einer verlorenen Liebe spiegelt. Ja, das findet in einer einzigen Träne Platz.

Für Herzschmerz bleibt mir keine Zeit. Federleicht und klitzeklein geht es weiter. Noch während ich zu erraten versuche, wer denn mein nächster Gast ist, rieche ich es schon. Kinderkacke! Auf mir drauf! Das geht ja nun wirklich nicht! Ich bin einigermassen konsterniert. Warum nimmt die liebe Mama denn kein Handtuch zur Hilfe. Oder eines dieser Feuchttücher, die sich heute in jeder Frauenhandtasche verbergen? Damit kann man die Sauerei doch ganz elegant beseitigen. Nichts da. Sie wechselt die Windeln. Lässt die Stinkerei liegen. Und mich grummelnd zurück. So wird sich den ganzen Tag niemand mehr zu mir gesellen. Wer will schon Gesellschaft von einem verkleckerten, miefenden Ding? Ich bin traurig. Das sind dann die Schattenseiten meines Lebens. Die Sonne geht langsam unter. Sie taucht den Himmel in ein zartes Rot. Der Platz leert sich. Und ich werde unsanft aus meinen Tagträumen gerissen. Ein eiskalter Wasserstrahl ergiesst sich über mich. Tausend kleine Perlen hüpfen durch die Luft. Abgespritzt! Wie jeden Abend. Damit ich morgen früh wieder einladend und adrett dastehe. Nach getaner Arbeit stellt der Bademeister die Liegestühle zusammen. Alle auf einen Stapel. Und ich – kriege meinen Platz zuoberst.