Let’s talk about

Sie sitzt am Küchentisch. Starrt, in Gedanken versunken, Löcher in die Luft. Die Uhr an der Wand, sie tickt vor sich hin. Sekunde um Sekunde hüpft der Zeiger vorwärts. Durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Sie starrt vor sich hin, Löcher in die Luft. Hängt ihren Gedanken nach. Hinter ihr tropft der Wasserhahn. Ein Geräusch, gleichmässig, hallend. „Sollte schon längst mal repariert werden“, denkt sie. Die Tropfen fallen in den Spültrog. Unbeirrt, leise, plätschernd. „Ich ruf nächste Woche den Klempner an.“ Sie starrt weiter vor sich hin. Die Löcher tanzen vor ihren Augen, leicht, schwebend. Wie bunte Seifenblasen, die vom Wind getrieben werden. Auf und ab, bunt und schillernd, Seifenblasenlöcher mit Gedanken gefüllt. 

Da! Die Zeitung vis à vis bewegt sich. Ein verwuschelter Haarschopf lugt hervor. Eine Männerhand tastet sich über den Tisch, hin zur Kaffeetasse. „Jetzt wirf er gleich die Tasse um.“ Gebannt verfolgen ihre Augen die suchende Bewegung. „Ja, noch etwas mehr rechts, dann fällt sie um! Schütte dir doch den Kaffee über die Hose! Geschieht dir ganz recht, wenn du dich schon hinter der Zeitung vergräbst! Jetzt! Schade. Nichts passiert!“ Sie räuspert sich. „Du, wir müssen reden…“ Der Haarschopf versinkt wieder hinter der Zeitung. Keine Reaktion. Die Uhr an der Wand tickt. Sekunde um Sekunde hüpft der Zeiger vorwärts.  Der Hahn hinter ihrem Rücken tropft. Sie starrt vor sich hin. Durchlöchert ihr Zeitungs-Vis-à-Vis mit Blicken.

„Du. Lass uns reden….“ Ihr Tonfall, eine Spur lauter, eine Spur schriller. Ein Brummen hinter der Zeitung drückt Missmut aus. „Worüber?“ „Über uns!“ „Über uns? Was gibt’s da zu reden? Ist doch alles o.k.! Und sowieso. Muss jetzt zur Arbeit. Heute Abend, ja?“.

Heute Abend, ja?… äfft sie ihn in Gedanken nach. Wie lange höre ich das jetzt schon? Tage, Wochen, Monate? Vielleicht sogar Jahre? Sie bleibt sitzen. Den Kopf in die Hände gestützt starrt sie in Gedanken versunken vor sich hin. Die Löcher werden zu Seifenblasen. Schillernd und bunt. In Gedanken setzt sie sich auf eine Seifenblase. Entflieht dem Alltag. Weg in eine andere Welt. In ein anderes Leben. Doch, so anders ist dieses Leben gar nicht. Es war mal ihres. Vor Jahren…

Sie liegen im Gras. Träumen vor sich hin. Erzählen sich ihre geheimsten Gedanken und Gefühle. Schauen den tanzenden Sommervögeln zu. Malen sich ihre Zukunft in den schönsten Farben aus. Schmieden Pläne ohne Ende. Wie oft haben sie andere Menschen beobachtet. Menschen, die sich gegenübersitzen. Menschen, die stundenlang aneinander vorbeistarren. Ohne zu reden. Haben sich nichts zu sagen. Unvorstellbar! Unvorstellbar? Denkt sie und muss dabei müde grinsen. Dass ich nicht lache! Wie ist es bei uns? Jeden Morgen starre ich in ein Zeitungs-Vis-à-Vis. Kommunikation? Ja, die findet statt. „Wo ist mein blaues Hemd?“ „Im Schrank!“ „Nein!“ „Doch! Mach deine Augen auf!“ Und das war’s dann.

Sie sitzen zusammen im Café. Starren stundenlang aneinander vorbei. Sie bemerkt ein Paar am Tisch nebenan. Verliebt, lachen, Pläne schmiedend. Hört, wie die Frau dem Mann zuflüstert: „Du. So werden wir nie enden. Wir nicht! Stundenlang dasitzen, ohne miteinander zu reden. Nicht wir!“ Ja, denkt sie. Das hab ich auch mal gesagt. Traurig betrachtet sie ihr zeitungslesendes Gegenüber. „Du, wir müssen reden…“ Kein Reaktion. Nochmals. Etwas lauter, energischer. Ein Grummeln tönt hinter dem Blätterwald hervor. „Worüber denn?“ „Über uns. Über mich.“ „Wieso denn? Ist doch  alles in bester Ordnung?“

Sie nimmt ihren Mantel. Geht nach Hause. Setzt sich an den Tisch. Starrt Gedankenlöcher in die Luft. Zehn Minuten, zwanzig Minuten. Erhebt sich. Um Jahre gealtert. Packt ihren Koffer und geht. Bevor sie die Wohnungstür hinter sich zuzieht, schreibt sie ein paar Worte auf einen Zettel.

Er kommt nach Hause. Niemand da. Die Stille macht ihn nervös. Wo ist sie? Rufen. Keine Antwort. Suchen. Nichts! Da, eine Notiz! Ein einziger Satz steht darauf: „Hätten wir doch nur geredet….“ Er runzelt die Stirn, versteht die Welt nicht mehr. „Worüber denn? Es war doch alles in bester Ordnung…“