Barbie wird älter

Es ist dieser nicht vorhandene Gesichtsausdruck, der mich in seinen Bann zieht. Gefangen nimmt. Und meine Denkrädchen in Bewegung setzt. Ganz langsam beginnen sie zu surren. Betrachten. Beobachten. Versuchen eine Regung wahrzunehmen. Entweder hab ich Sandkörnchen in den Rädchen. Oder es ist wirklich so, wie ich es sehe. Ein menschliches, weibliches Gesicht, das sich nicht bewegt. Der dünne Hals ist mit Falten überzogen. Feine Ästchen verleihen ihm eine leicht welkende Struktur. Sieht aus, wie eine kleine Schildkröte. Schrumpeliger Hals und obendrauf ein Köpflein. Mit allem, was dazugehört. Mit dem kleinen, feinen Unterschied, dass es sich hier nicht um eine Schildkröte sondern um eine Frau handelt.Zeit zum Kucken hab ich ja genug. Stehe in der Warteschlaufe. Post Meggen. Grossandrang. Es geht gegen Ende Monat. Und ganz viele Menschen tätigen ihre finanziellen Transaktionen nach wie vor am Postschalter. Es ist ja schliesslich viel sicherer, mit 6000 Franken in der Tasche durch die Strassen zu spazieren. Als diese durchs absolut unsichere www zu senden. Ich bin fasziniert. Nicht von den Transaktionen. Aber von dieser Lady. Was die Schönheitschirurgen so zu Stande bringen. Eindrücklich. Ihre Haut ist sehr straff. Zum Zerreissen gespannt schon fast. Sieht aus, wie feines Sandpapier. Die Augen sind unnatürlich weit geöffnet (ob die zum Schlafen wohl geschlossen werden können?). Die Augenbrauen berühren fast den Haaransatz. Ich weiss nicht, ob dieser dauerstaunende Blick vielleicht irgendwann sogar nervt? Lippen, Schlauchboote. Und der Rest. Diese neumodernen, dünngehungerten Beinchen und Ärmchen. Gilt in gewissen Kreisen als schick. Ich weiss. Verschliesst sich aber meinem Sinn für Ästethik. Die Ägypter wollten erst nach ihrem Ableben zur Mumie werden. Neuzeitmenschen scheinen schon zu Lebzeiten danach zu streben. Da bekommt das Wort „Dörrleiche“ (hätte mal die deutsche Version von Mumie werden sollen) gleich eine ganz andere Bedeutung. Anders kann ich mir das nicht erklären. Wie sich das wohl anfühlt, wenn man jede seiner Gefühlsregungen ankündigen muss? „Ich lächle jetzt.“ Aha … sieht man eben nicht. Weil die Mundwinkel nicht mehr nach oben gehen können. Und das Botox rund um die Augen verhindert, dass sich Lachfältchen abzeichnen. Und wie fühlt es sich da erst an, wenn man mal so richtig wütend ist. Und das auch zeigen will? Hm. Muss schwierig sein.

Der Zufall will es, dass sie und ich den gleichen Weg haben. Richtung Stadt. Sie in ihrem Porsche Cayenne. Logo, was denn sonst. Ich in meinem Seat Altea. Fragen? Ich beobachte amüsiert, wie sie sich bei jeder Gelegenheit im Rückspiegel mustert. An ihren Haaren herumzupft. Etwas Lippenstift auftupft. Spüren diese Lippen, dass sie betupft werden? Um dann mit aufheulendem Motor zum nächsten Rotlicht zu hüpfen. Scheinbar leidet auch die Feinmotorik unter diesen Eingriffen. Botox ist ja bekanntlich ein Nervengift. Und feinmotorische Betätigung passiert auch über das Ansteuern von Nervenzellen. Ich bin etwas irritiert. Sehr irritiert, eigentlich. Weil, in Würde älter werden. So stell ich mir das nicht vor. Klar, es gibt auch diese Tage, an denen mir tausend Dinge einfallen, die ich an mir nicht mag. Aber, wenn diese Dame die Alternative ist. Nö. Dann doch lieber mit Hagelschaden, Lachfalten und erhobenen Hauptes durch die Welt laufen. Von Herzen lachen, bis die Tränen kullern. Und spüren, wie sich Lachen anfühlt.